Page images
PDF
EPUB

Kritik des Scherlschen Prämien-Sparsystems. 1)

Eines der tiefgreifendsten Sparkassenreformprojekte der neueren Zeit ist das von August Scherl: die in moderne Fassung gekleidete Durchführung einer alten Idee, der Verbindung einer Lotterie mit dem Sparwesen.

[ocr errors]

Schon im Jahre 1835 berichtet Hermann in seiner Schrift: „Über Sparkassen im allgemeinen" von einem Franzosen, der hierzu rät und er ruft aus: Welch ein Fortschritt im Reichtum, wenn ein Volk die Millionen, welche es jetzt alljährlich in die Staatslotterie setzt und von denen es kaum die Hälfte als Gewinnst wieder zurückerhält, ganz in die Sparkassen legte, die etwa 14 davon ausspielten, aber als Erspartes den Einsetzern gutschreiben. Warum soll der Ertrag der Lotterien nicht auch zur Vermehrung der Sparsamkeit und darin zum Besten jeden Einlegers selbst benützt werden."

3

In der Folgezeit ist man noch weiter gegangen und hat nur noch die Auslosung des Jahreszinses als zu rechtfertigend erachtet. Scherl hat sich den Anhängern der Zinsenlotterie angeschlossen und hierfür den Beifall ramhafter Gelehrter gefunden.

Freilich geht Scherl und seine Begutachter, wie Adolph Wagner, Wilhelm Roscher und Evert hierbei von einer Annahme aus, die, zur Ehre des deutschen Sparwesens sei's gesagt, doch nicht durchweg zutrifft und wo sie Bestätigung findet, in einem unsozialen Verhalten der Sparkassen, das sich beseitigen läßt, beruht. Sie führen nämlich an, daß der Zinsertrag, mit dem gespielt wird, den Sparern doch gänzlich oder größtenteils zu entgehen pflege. Es ist jedenfalls keine Rechtfertigung dieses Systems, sondern nur ein berechtigter Vorwurf vor allem gegen die Zinspolitik der Sparkassen, die nicht mehr die Einlage des kleinen Mannes, wie ehedem a die ad diem in regelmäßiger Weise verzinsen, sondern ihr oft Monate lang keinen oder nur geringen Zins geben, die diese Einlage nach Zurückziehung im Laufe des nächsten Vierteljahres mit völligem Zinsverlust oder bei Zurücknahme während des ganzen

1) Cf. hierzu,,Das Scherlsche Prämien- und Sparsystem für Freunde und Gegner dargestellt von August Scherl" (Scherl I) Berlin 1904, Nachtrag zu meinem Prämiensparsystem. ,,Noch ein Wort an die preußischen Sparkassen von August Scherl" (Scherl II) Berlin 1904. ,,Lotterie und Sparen" von Prof. Dr. P. Mayet, Berlin 1904.

ersten Jahres nur mit reduziertem Zins bedenken und durch alle diese Maßnahmen den Sparsinn in unsozialer Weise verletzt haben. Solches Verfahren mußte dazu führen, daß die kleinen Sparer nicht mehr jeden Betrag der Kasse bringen, zumal wenn sie nicht sicher sind seiner in nächster Zeit nicht wieder zu bedürfen; wenn deshalb die Intercalarzinsen heute vielfach nicht mehr zur Entstehung gelangen (Scherl I S. 62), so ist das kein notwendiger Übelstand, sondern einer, den die Sparkassen großgezogen haben. Aber auch das Scherl'sche Projekt hebt dieses soziale Unrecht nicht auf, denn auch nach seiner Organisation wird fürderhin den Sparern für ihre Einlagen im Spieljahr nur 110 bis 19/10 Proz., also ein ungerechtfertigt niederer Zins, der den Verlosungsfonds bildet, rechnungsmäßig vergütet.

Indessen damit erschöpften sich die Bedingungen zur Anteilnahme an der Lotterie nicht. Gerade der ärmste Teilnehmer, der nur mit 26 Mk. im Jahre an der Sparlotterie teilnimmt, wird — neben dem Verlust jeden Jahreszinses zu einem unverhältnismäßig hohen Beitrag für die von ihm nicht begehrte Zeitung mit 3 Mk. und einer Einschreibgebühr von 20 Pf., im zweiten Jahre von 10 Pf. herangezogen und je mehr bei größerem Wochenbeiträgen der Lotteriecharakter schwindet, um so mehr bleibt das Prämiensparsystem für den kleinen Mann eine Lotterie: er verzichtet auf Verzinsung seiner Jahreseinlage und verausgabt zudem 3 Mk. 20 Pf. bezw. 3 Mk. 10 Pf., die sonst seine Haushaltsfinanzen nicht belasten würden.

Als die Grundlage des Scherlschen Systems ist indessen nicht die Lotterie zu erachten, sie ist nur das Mittel zum Zweck; Scherl wollte durch sie das Abholungssystem popularisieren. Jeden freien Geldbetrag der Sparkasse zu überweisen, indem sich das Abholungssystem über das ganze Land verbreitet und zwischen dem Sparer, der sich zu regelmäßigem Sparen verpflichtet und der Sparkasse eine Verbindung herstellt: das ist der ideale Grundzug seines Systems. Gerade diese Idee, das Abholungssystem in großartiger, bisher unerreichter Weise zu verwirklichen, hat dem Scherlschen Projekt so viel Sympathien gebracht.

Seitdem im Frühjahr 1879 die ,,Bremer Sparkasse von 1825" mit der Postverwaltung des Deutschen Reiches einen Vertrag vereinbarte, der die Benützung der Postanstalten des Oberpostdirektionsbezirkes Bremen als Annahme- und Rückzahlungsstelle für die Sparkassen bezweckte (den aber dann die Generalversammlung

dieser Sparanstalt ablehnte), hat die Post, diese berufene Hilfsinstitution der Sparkassen, kein Entgegenkommen mehr gezeigt und die Aussichten für eine Wendung dieser Stellungnahme sind keine günstigen. Zudem verhalten die Sparkassen selbst sich solcher Liierung abgeneigt, da sie ihnen als Einbruch in ihre Freiheit und Unabhängigkeit erscheint und sie fürchten, daß sich solche Interessenverknüpfung zur Anbahnung eines zentralisierten Sparsystems auswachsen könnte.

Das Scherlsche Projekt hat schon bei seinem ersten Auftauchen im Jahre 1890 die Aufmerksamkeit wieder auf die Einrichtung des Abholungsverfahrens hingelenkt und die preußische Ministerialverfügung vom 9. August 1894 veranlaßt, die sich dahin aussprach, daß die Spargelegenheit dem Sparer entgegengehen müsse.

Es sind bis heute nur wenige kommunale Kassen, die mit dieser Einführung Erfolg hatten: Mainz, Eschwege, Ludwigshafen, während gerade jene Anstalten, die auf jenen Erlaß hin zur Einrichtung schritten, wie Düsseldorf, Glogau, Posen keine günstigen Resultate erzielten.

Wenn auch die Erfahrung, daß mit dem Abholungssystem sich eine starke Arbeitsmehrung ergibt und der pekuniäre Gewinn für die Sparkassen gering ist, die Abstandnahme beschleunigte, so waren doch andere Gründe hierfür ausschlaggebend.

In Düsseldorf hatte es sich gezeigt, daß von den im Abholungsverfahren eingelegten Summen bis zum Jahresende ein großer Teil wieder erhoben wurde; so waren im Jahre 1899/1900 von 56000 Mk., die bei ca. 500 Einlegern abgeholt wurden, nur 35000 Mk. bei der Sparkasse verblieben. In der Stadt Glogau und drei Ortschaften, für die die Kreissparkasse in Glogau das Verfahren einrichtete, zeigte sich nur eine geringe Beteiligung und ebenso hat in Posen die Arbeiterbevölkerung, die man zu fördern beabsichtigte, kein Interesse gezeigt und eine Anregung des Sparsinns in dieser Bevölkerungsschicht sich nicht feststellen lassen.

Ob beim Scherlschen System der Spielcharakter der Sparbeträge dem Abholungssystem eine günstigere Aufnahme bei jenen Klassen, die dieser Institution bedürfen, sichern wird, bleibt dahingestellt; zudem aber dürfte das Scherlsche Abholungssystem nicht entfernt jene Ausbreitung finden können und jene Beihilfe den Sparkassen gewähren können, wie die Tätigkeit der Post im Dienste der Sparkassen sie gewähren könnte. Scherl wird mit seinen Ab

holungsbeamten kaum einen weiteren Bereich aufsuchen können, als Städte oder örterbelebte Gegenden.

Wie aus der Kostenübersicht über das Abholungsverfahren hervorgeht (Scherl I S. 39, 63; Scherl II S. 10) wird der Besuch einzelner Gehöfte oder einsamer Ortschaften im Gebirge oder in Heideländern oder anderen unwirtlichen oder wenig bevölkerten Gegenden nicht in Betracht kommen können, ohne durch seine Kosten das ganze Projekt zu erschüttern. Wenn Mayet (1. c. S. 15) auf Scherl (I S. 63) fußend und von ihm unwidersprochen auf 21 Millionen Sparteilnehmer zur Durchführung der Scherlschen Organisation rechnet, um die Kosten entsprechend verteilen zu können, so darf die Befriedigung jener entlegenen Sparlustigen, die heute schon die Sparkasse am meisten entbehren, eben der Kosten wegen als unmöglich angesehen werden; ihnen wird also auch durch Scherl nicht geholfen werden und gerade die von Scherl angestrebte Popularisierung des Sparwesens, die „ausreichende“ Vermehrung der Sparstellen (Scherl I S. 61) wird nach wie vor große Lücken aufweisen.

Schwinden so die Vorteile auf ein Minimum zusammen, so sind die Nachteile, die dem deutschen Sparkassenwesen aus solcher Lotterie entstehen, so groß, daß sie die schon erschütterten Fundamente unseres deutschen Sparkassenwesens noch mehr zu gefährden geeignet sind.

Es wird hierdurch den Sparkassen eine große Anzahl neuer Gäste zugeführt, die nur das Spielinteresse zu den Sparkassen führt. Wenn Scherl etwa auf den zwölften Teil der preußischen Einwohnerschaft rechnet, so muß sich die Anteilnahme bis weit in die bemittelten Bevölkerungsklassen erstrecken. Jahressparsummen von 208 Mark, wodurch erst das Anrecht auf ein ganzes Los entsteht, und wodurch erst die Ausgaben für die Abholung sich günstiger verteilen, sind den sog. kleinen Leuten wohl nicht möglich; ohne eine bedeutende Teilnahme von Einlegern mit hohen Wochenbeiträgen würde aber das ganze System in Anbetracht der hohen Abholungskosten sich als unwirtschaftlich ergeben und scheitern müssen.1) (Scherl I S. 63.)

1) Wenn 300 000 ganze Lose sich auf 2400000 50 Pfennig Wochen-Sparer verteilen würden, müßten bei einer Abholungsgebühr von 3 Mark pro Jahr und 20 Pfg. Einschreibgebühr 7680 000 Mk. an Gebühren gezahlt werden, wogegen nur 540000 Mk. ausgespielt werden.

Für den kapitalistischen Spieler bzw. Sparer erscheint mir besonders jene Einrichtung anlockend, daß man sich Mitte des Jahres noch durch den einmaligen Erlag einer Summe den Besitz eines Loses sichern kann, dadurch tritt der Charakter des Prämiensparsystems als erzieherische Sparinstitution gegenüber dem einer Lotterie sehr bedeutend zurück.

Die Folge also wird sein, daß noch mehr Millionen Mark von jenem unruhigen Element, als das sich die bemittelten Sparkunden erwiesen haben, bei den Kassen in Zukunft anliegen würden. Die Unruhe in den Kapitalmassen der Sparkassen wird zudem noch durch den Charakter dieser Einlagen gehoben, denn wenn Wirtschaftskrisen eintreten, so wird von weiten Schichten der Bevölkerung das Spiel aufgegeben und große Summen, die vom Vorjahre noch anliegen oder die schwebende Lotteriesparbeträge zumal ihnen Scherl jederzeitige Erhebbarkeit einräumt (Scherl I S. 33) - kommen zur Kündigung; weiterhin wird wohl ohne Zweifel auch am Ende jeden Jahres ein starker Rücklauf von jenen Kapitalien stattfinden, die sich nur des Lotteriegewinnes wegen der Sparkasse zuwendeten.

Die Heranziehung der kapitalistischen Sparer, wie der Charakter dieser Einlagen muß dazu führen, einen noch höheren Prozentsatz als bisher flüssig anzulegen, will man den Anforderungen an Liquidität und Sicherheit genügen, so daß der Zins, der von den Kassen für die allgemeinen Spareinlagen in Zukunft gezahlt werden kann, notwendig sinken wird. Abgesehen von der Vermehrung der bei Banken bereitliegenden Summen und Erweiterung des niedrig zinsenden Wechseldiskontos, würde ein bedeutend höherer Betrag von Effekten, dieser großen Verlustquelle bei den deutschen Sparkassen, zur Anschaffung gelangen müssen.

Wird schon durch die Heranziehung der Millionen kapitalistischer Sparkunden anderen Anlagearten, als sie die Sparkassen bieten, viel Kapital entzogen, so erscheinen auch andere Sparinstitutionen, wie die der Genossenschaftskassen, deren Segen und Berechtigung wohl niemand bestreiten wird, in ihrer Existenz auf das ärgste gefährdet; auch ihnen wird dann die Veranstaltung einer Lotterie nicht versagt werden können, will man nicht ihren wirtschaftlichen Zwecken. notwendige Kapitalien entziehen.

Die Einwirkung, die von der Einführung des Scherlschen Sparsystems ausgehen würde, wäre eine tiefgreifende und dabei nichts. für die soziale Reform des Sparwesens, außer einer etwas umfang

« PreviousContinue »