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Vorwort.

Zu der vorliegenden Arbeit, deren Aufgabe es ist, das geltende Verfassungsrecht der Union als solcher systematisch darzustellen, bin ich vornehmlich aus drei Gründen bewogen worden.

Erstens fehlt eine derartige Darstellung des Gegenstandes, wenigstens meines Wissens, mit Ausnahme des jetzt veralteten und wenig ausführlichen Mohl'schen Versuches, bisher gänzlich. Die amerikanischen Publicisten liefern besten Falles einen ausführ lichen Commentar der Constitution von 1787 und besprechen darin die einzelnen Bestimmungen der leztern gemäß der Reihenfolge, in welcher das Grundgesetz dieselben aneinanderreiht, ohne die innere logische Verbindung der verschiedenen Theile untereinander aufzudecken. Die wenigen Nichtamerikaner aber, welche hier in Betracht kommen, behandeln die Verhältnisse der Union entweder unter dem Gesichtspunkte des Vergleiches mit denjenigen ihrer eigenen Länder oder von einem allgemeinern Standpunkte her, indem sie theils eine Geschichte der Vereinigten Staaten liefern, theils das Culturleben des Volkes, dessen sociale und politische Zustände schildern.

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Zu den, übrigens in das später (Kap. 2) folgende Literaturverzeichniß nicht aufgenommenen, vergleichenden Schriften der erstern Art gehört um nur von deutschen Arbeiten zu sprechen neben der Broschüre: „Das Bundesstaatsrecht der Nordamerikanischen Union, der Schweiz und des Norddeutschen Bundes, zusammengestellt von einem Juristen“ (München 1868), vor allem: Rüttimann, „Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht,

verglichen mit den politischen Einrichtungen der Schweiz“ (3 Bde., Zürich 1868-76). Dieses ausführliche und mit vielem Fleiße angefertigte Werk, auf welches hiermit im voraus ein für alle mal hingewiesen sein soll, bildet eine wohl beachtenswerthe Quelle für jeden, der sich eingehender über das amerikanische Recht zu unterrichten wünscht, soweit sich das letztere an die Constitution von 1787 anlehnt, ist aber im übrigen von der vorliegenden Arbeit um vieles darum verschieden, weil es, ähnlich den oben angedeuteten amerikanischen Büchern, die Einzelheiten, wenn auch in einer gewissen logischen Ordnung, doch ziemlich unvermittelt nebeneinander stellt, während ich versucht habe, das Ganze aus Einem grundlegenden Gedanken heraus kritisch zu entwickeln und den Blick in das so geschaffene Bild nicht durch die Zugabe von Einzelbestimmungen zu trüben, welche ja obendrein - für die deutsche Leserwelt zum wenigsten durch Rüttimann überflüssig geworden sind.

Zu den Schriftstellern, die einen allgemeinern Standpunkt einnehmen, ist von Holst zu rechnen, welcher freilich eine Darstellung des geltenden Rechtes zu geben versprochen, sich aber bisher auf eine, übrigens noch nicht einmal vollendete Vorgeschichte beschränkt hat, und auf den zurückzukommen sich anderweitig Veranlassung finden wird.

Zweitens verdient das amerikanische Staatsrecht überhaupt ein eingehenderes Studium auch außerhalb Amerikas: nicht blos weil die Bedeutung des Landes selbst in stetigem Wachsen begriffen ist, sondern weil dieses Recht Vorzüge besißt, auf welche bisher nur selten aufmerksam gemacht wurde. Das öffentliche Recht ist, zum mindesten bei uns, das Stiefkind der juristischen Wissenschaft; während man auf dem Gebiete des Privatrechtes, nach dem Vorbilde der Römer, sich an jene logische Schärfe gewöhnt hat, welche den eigentlichen Werth des Rechtsstudiums ausmacht, glaubt man das Staatsrecht mit Redensarten abthun zu können, welche einer eingehendern Prüfung gegenüber nicht Stich halten. Es mag dies darin seinen Grund haben, daß das constitutionelle Recht, welches bei uns das absolute Königthum ersetzt hat, noch allzu jung, unsicher und unklar ist, um eine umfassende wissen

schaftliche Bearbeitung zu erfahren; wie dem immer aber auch sein mag, jedenfalls ist es außerordentlich wünschenswerth, nach der zulezt angedeuteten Richtung hin eine Aenderung eintreten zu sehen, nicht etwa so, daß man sich bestrebt das Staatsrecht mit möglichster Langweiligkeit darzustellen - denn Langweiligkeit und Wissenschaftlichkeit sind zwei wohl unterschiedliche Begriffe, wie namentlich die Beschäftigung mit der französischen Literatur lehrt sondern daß man aus jeder einschlägigen Frage den begrifflichen Kern herausschält und sich nicht begnügt mit Stichwörtern, welche bestenfalls lediglich auf die große Masse eine Zugkraft auszuüben vermögen, oder mit Darstellungen, welche, des wissenschaftlichen Charakters entbehrend, doch nicht einmal die übrigens keineswegs zu unterschäßende Bedeutung brauchbarer Zeitungsliteratur aufweisen können. Wenn man zu einer Besserung auf diesem Gebiete beitragen will, dann thut man wohl, den Blick auf Rechtssysteme zu lenken, welche von den oben besprochenen Mängeln des unsern frei sind; und ein solches findet man in den Vereinigten Staaten; das öffentliche Recht der Union, wenn es auch mitunter von Anschauungen ausgeht, welche nach dem heutigen Stande der Wissenschaft nicht immer zu billigen sind, ist doch im großen und ganzen durch eine Klarheit ausgezeichnet, an welcher das Urtheil des Juristen allenthalben sich zu bilden vermag. Aus jeder Prämisse wird die treffende Schlußfolgerung gezogen, und so fügt sich das Ganze zu einem Systeme zusammen, dessen Theile durchaus miteinander in Harmonie stehen. Wenn man diese Eigenschaften oft nicht erkannt hat, so liegt das nicht an dem Rechte, wie es durch die Unionsverfassung geschaffen, sondern an der Art und Weise, wie es bisher behandelt worden ist. Auch die Amerikaner nämlich find fast ausnahmslos in den Fehler verfallen, die auf politische Verhältnisse bezüglichen Fragen streng juristischer Natur mit einer gewissen Oberflächlichkeit zu erledigen, welche allenfalls auf die parlamentarische Tribüne gehören mag, in einem fachgelehrten Werke aber, wie bereits angedeutet wurde, durchaus nicht zu rechtfertigen ist. Obendrein gestaltet sich aus einer sei es aufrichtigen, sei es erheuchelten, immer aber unbegrenzten Ver

ehrung für die Gründer der Union, jede einschlägige amerikanische Schrift zu einem bedingungslosen Panegyrikum der Constitution, trotzdem die letztere selbstverständlich, wie alles in der Welt, ihre Mängel hat, und es Aufgabe der Wissenschaft sein sollte, durch Hinweis auf dieselben eine wünschenswerthe Verbesserung anzustreben. Gerade dadurch nun, daß man so wenig kritisch zu Werke geht, wird der Verdacht erregt, als ob eine vorurtheilslosere und gründlichere Beschäftigung mit der Sache zu unbefriedigenden Ergebnissen führen müßte, während das doch, wie schon gesagt wurde, nur zu sehr geringem Theile zutrifft. Ich habe mich im Folgenden bestrebt, die Richtigkeit gerade dieses letzten. Sazes nachzuweisen und des Weitern dann bei der Behandlung des amerikanischen Rechtssystems, welches ich aus den entwickelten Gründen dazu für besonders geeignet erachte, eine Methode einzuschlagen, welche mir für die Staatsrechtswissenschaft überhaupt als die einzig wahre erscheint. Ob ich dabei nicht vielleicht allzu einseitig geworden bin und wie weit es mir im allgemeinen ge= lungen ist, meinen Standpunkt mit Erfolg zu vertreten, muß dem Urtheil des Lesers überlassen bleiben. Jedenfalls dürfte es für manchen nicht ohne Werth sein, zu erfahren, wie ein Gegenstand, welcher gleich dem öffentlichen Rechte der Union bisher — was die Ausländer anbetrifft fast ausschließlich von Leuten ohne eingehendere Fachbildung oder publicistischen Theoretikern behandelt worden ist, von jemandem beurtheilt wird, der die ganze Vorschule eines deutschen, beziehungsweise preußischen Juristen durchgemacht hat, und als solcher praktisch thätig war und geblieben ist.

Drittens ist das amerikanische Verfassungsrecht für Deutschland von ganz besonderer Wichtigkeit: einmal, weil ein großer und nicht der schlechteste Theil der Unionsbevölkerung deutschen Ursprunges ist, und darum für viele hierzulande die Verhältnisse der überseeischen Republik von großem Einflusse sein müssen, dann aber auch und vornehmlich, weil sich der juristische Charakter unseres Deutschen Reiches, wenigstens soweit es einen zusammengesetzten Staat bildet, schlechthin mit demjenigen der Union deckt, oder richtiger decken sollte. Wenn mich nicht alles täuscht, so

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