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scheint die Wärme eines überschäumenden, freien, kriegslustigen Lebens auszuströmen.

Das Benehmen dieses Haussultans ist nicht minder prächtig als sein Gewand. Es ist nicht möglich, ihn im Negligée zu überraschen. Er ist stets ein Prätendent; er verlangt die Huldigung einer Gattin oder die Bewunderung eines Menschen. Wenn die Gattin Kälte oder Gleichgiltigkeit zeigt, stugt er wie vor einer Beleidigung, reckt seinen Hals noch höher und setzt seine ganze Schönheit in Szene, wobei er das Weibchen frech umkreist. Wenn dagegen ihr Menschen die Gleichgiltigen seid, so betrachtet er euch scharf und stößt sein herausforderndes Gekräh hervor, das ebenso dreist und mutwillig ist wie er selbst.

Wenn sich der Hahn ausnahmsweise allein befindet und die Bewunderung seiner Odalisken oder seines Herrn nicht genießen kann, bewundert er sich selbst, und in diesem maßvollen und würdigen Weihrauch, den er sich selber streut, erscheint er wie ein spanischer Grande im Gewande des Cinquecento, ge= ziert mit dem Orden vom Goldenen Vließ.

Troz des Pompes und der Pracht seines Auftretens, troß der unersättlichen Eitelkeit, die ihn aufbläht, wird der Hahn niemals plump oder lächerlich; denn er ist freimütig, ohne Hypokrisie. Er erhebt den Hals und Kopf über seine Odalisken, weil er sich unwiderstehlich fühlt; er erbittet, ja fordert unsere Bewunderung, weil er sich selbst offen und ehrlich als den Ersten bewundert und sich der Gunstbezei

gungen seiner Schönen wie unsrer Ehrerbietung für würdig hält.

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Die Henne, weniger schön als ihr Sultan, ist dennoch ein anmutiges Geschöpf voll Güte und unerschöpflicher Fruchtbarkeit, wobei auch sie nicht verschmäht, sich in bunte Farben zu kleiden. Sie ist ein weiches, wollüstiges Wesen, zur verträglichen Gattin und fruchtbaren Mutter geschaffen. Nach der Umarmung des Sultans beginnt sie zu picken und zu scharren, Eier zu legen, Küchlein auszubrüten: ein treues und beredtes Bild der vollsten, reichsten, fruchtbarsten Weiblichkeit. Nicht umsonst lieben manche Frauen ihre Hennen wie wir unsre Hunde und Pferde: die Folge einer intimen psychoLogischen Verwandtschaft!

Die Henne scharret gackernd rings umher,
Wobei sie nickend reckt den Hals empor,

Nach den verstreuten Krümchen eifrig spähend,

Und federsträubend hackt sie nach dem Küchlein.

Auf dem Dache

Singt die Schwalbe,

Auf der Tenne

Gackert die Henne.

Déjà c'est l'heure du reveil,

Les coqs ont sonné la diane,
Il n'est pas de ferme bressanne
Qui ne s'ouvre au premier soleil.

Zanella.

Zanella.

Gabriel Vicaire.

Quand la poule et le paon, qui pondent à l'écart
Vont semer sous les bois leurs œufs faits au hasard
Les laisse-t'on ainsi sans nid et sans familles
Semer pour le renard leurs fécondes coquilles ?
Non, l'enfant du foyer va les chercher au loin,
Sur le duvet des bois les ressemble avec soin,
Et la mère, le soir, qui revient et les trouve,
Sous son cœur qui s'échauffe avec amour les couve;
Et bientôt les poussins par eux multipliés

Se répandent dans l'herbe et gloussent sous nos pieds.
Lamartine.

Les poules, hérissant leur dos bariolé,
Grattent le sol, cherchant quelques graines de blé.

Charles Reynaud.

L'ombre s'étend profonde. En vain le cri sonore
Du coq, ardent guetteur de nuit, prédit le jour;
Au brumeux orient aucun rayon encore:

Le monde est ténébreux comme un cœur sans amour.
C. Robinot-Bertrand.

Le coq chante, veilleur exact et diligent.

Paul Verlaine.

Hand.

Nach dem Angesicht ist die Hand derjenige Teil unsers Körpers, der die menschliche Natur am besten zum Ausdruck bringt; nicht umsonst hat man sie darum das zweite Antlig genannt.

Winckelmann verlangte von der schönen Hand eine gewisse, nicht zu große Fleischigkeit, mit kaum sichtbaren, der Knochenfügung entsprechenden Ein

drücken; die Finger müssen sich nach ihm gegen die Nägel hin verschmälern, und diese selbst dürfen nicht zu lang sein.

Dies sind in der That die hauptsächlichsten Erfordernisse einer schönen Hand, aber auch andre sind zu ihrer Vollkommenheit nötig. Übrigens sind fehlerlose Hände ebenso selten wie fehlerlose Gesichter, obwohl diese beiden Elemente an der allgemeinen Ästhetik des Körpers einen sehr verschiedenen Anteil haben. Von vorzüglicher Schönheit könnten wir eine englische Frau finden, auch wenn sie apostolische Hände besäße, und umgekehrt könnten wir uns nicht in ein häßliches Weib verlieben, nur wegen einer entzückenden Hand.

In den höheren Klassen sind die beiden Haupttugenden der schönen Hand Weiße und Kleinheit. Ein winziges weißes Händchen hat schon drei Viertel des Weges zur Schönheit gewonnen, und wenn es noch mit feinem Geäder gezeichnet ist und sich an einen vollen, runden Arm anschließt, dann ist ihm die ästhetische Palme so gut wie gewiß.

Der Rücken einer schönen Hand darf weder die Adern, noch die Knochen und Sehnen zu sehr hervortreten lassen; sie muß mit einem vollen weichen Polster bekleidet sein, welches an den Gelenken Grübchen zeigt. Diese Liebesnesterchen, welche an die der Wangen und des Kinns erinnern, dürfen sich auch auf den Gelenken der Finger befinden.

Diese müssen sich, wie gesagt, gegen das Ende verschmälern. Die rötlichen, durchsichtigen, weder zu

Mantegazza, Physiologie des Schönen II.

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platten, noch zu eingedrückten oder zu sehr gewölbten Nägel müssen an einen hübsch in einen Ring gefaßten Onyx erinnern.

Die Männerhand kann größer, weniger fleischig und zart als die Frauenhand sein; aber zu ihrer Schönheit dürfen ihr auch die zwei Haupttugenden der Kleinheit und Weiße nicht fehlen.

Eine kleine Hand kann häßlich sein, eine große Hand ist es immer; um uns nicht zu wiederholen, verweisen wir, um den Grund dieses ästhetischen Gesezes zu beleuchten, auf den Artikel über die Füße, für welche die Kleinheit noch mehr ein kategorischer Imperativ ist als für die Hände.

Nach Ecker wäre ein ferneres anatomisches Element für die Hand, daß der Zeigefinger länger sein müsse als der Ringfinger; aber ich habe schon vor mehreren Jahren eine Kritik dieses absoluten Dogmas gegeben und es in seine richtigen Grenzen verwiesen.*) Auch nach dieser Publikation habe ich sehr schöne Hände beobachtet, woran der Zeigefinger ebenso lang oder noch kürzer war als der Ringfinger.

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Der ästhetische Wert der Hand stimmt überein mit ihrem erotischen und künstlerischen Werte, denn die biologische Vollkommenheit muß mit der anatomischen Vollkommenheit zusammengehen.

Die Hand ist das Organ, welches die Liebkosungen

*) Mantegazza, Ueber die relative Länge des Zeigeund des Ringfingers.

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