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mühle zu Dartford, von unserem Landsmann Johann Spielmann aus Lindau erbaut, anerkanntermaassen die erste im Lande (ein früherer Versuch muss sehr vorübergehend gewesen sein) begann im Frühjahr 1589 zu arbeiten: denn vom „,8. März 1588" (d. h. eben 1589) datirt die Veröffentlichung des plumpen Lobgedichts, womit der alte Churchyard die wohlthätige Neuerung begrüsste. (Shakespeare Society's Papers IV, 50.) Grüsse solcher Art dürfen bekanntlich nicht altbacken werden: und so kann man es für ausgemacht ansehen, dass auch Shakespeare's feines Compliment (das in glücklich umgekehrter Form mit Churchyard's Inhalt übereinstimmt) in die gleiche Zeit zu setzen ist.1) Der zweite Theil von Heinrich VI., worin es sich befindet, kann hienach nicht jünger sein als 1589. Bei dieser Gelegenheit dürfte zu erwähnen sein, dass sich das Compliment auch in der Contention befindet; womit die Frage über das autorschaftliche Verhältniss zwischen beiden Stücken aus Gründen ohne Worte sich vollends erledigen wird.

Der Genosse, den der Andronicus im Jahre 1589 antreffen würde, kann jedoch kein Altersgenosse sein. Denn dass Heinrich VI. später und reifer ist als Andronicus, das leuchtet so in die Augen, und ist auch durch die allgemeine Uebereinstimmung so festgestellt, dass ein förmliches Beweisverfahren überflüssig erscheinen möchte.1)

1) Das Compliment gilt, bei Shakespeare wie bei Churchyard, der Königin als der intellectuellen Urheberin des Werks und dem Unternehmer desselben zusammen. Es ist kein Zweifel, dass Spielmann in Folge dieser Artigkeit, die ihm als ,,Straunger" doppelt wohlthun musste, einer der ,,Diverse of worship" geworden ist, durch deren gute Meinung von Shakespeare drei Jahre nachher Chettle sich eingeschüchtert fühlte. Für den vertrauten Juwelier der Königin, welchen Churchyard in seiner Zueignung den ,Well-willer" eines Raleigh nennen konnte, ist der Ausdruck nicht zu hoch. Von diesem angesehenen Manne, der auch in Breuning's zuvor berührtem Gesandtschaftsberichte eine Rolle spielt, hat uns Mr. Rye (England as seen by Foreigners etc., p. LXXII sq.) dankenswerthe Nachrichten gegeben. Spielmann war unter anderem 1597 in Stuttgart, um dem Herzog Friedrich kund zu thun, dass ihn Elisabeth in den Hosenbandorden aufgenommen habe. Aber noch viel näher berührt es uns, die Ueberzeugung hegen zu dürfen, dass Shakespeare's Werke auf das Dartforder Papier dieses unseres ,,German" nicht bloss gedruckt, sondern dereinst auch geschrieben worden sind. (Vergl. Jahrbuch III, 43. D. Red.)

1) Deshalb nur eine flüchtige Andeutung, die jedoch genügen wird. Im Andronicus sagt Demetrius von Lavinia:

She is a woman, therefore may be woo'd,

She is a woman, therefore may be won,

Diese Stelle ist nicht gerade schief, aber doch etwas müssig-redselig: denn durch die zweite Zeile (die übrigens 1585 bei Greene zu lesen war) wird die erste einigermaassen

Da kommt denn doch Ben Jonson's Ziffer in den Verdacht, keinen ganz festen Baugrund abzugeben: denn, weil vor Heinrich VI. geschrieben, muss der Andronicus älter als 1589 sein. Es darf nicht unbeachtet bleiben, dass ihm keine Reminiscenz aus dem Tamerlan (während Marlow'sche Reminiscenzen in Heinrich VI. und noch in Romeo und Julie auftauchen), dagegen eine aus dem Jeronimo nachgewiesen ist.1) Wollte man aber auch hieraus allzu zuversichtlich schliessen, dass Andronicus zwischen dem Jeronimo und dem Tamerlan geschrieben sei, so würde man damit doch zu keiner sichern Zeitbestimmung kommen. Keines dieser beiden Stücke hat ein Datum; doch wurde das letztere schon 1590, das erstere, ältere aber erst viel später gedruckt. Diese späte Veröffentlichung hindert indessen nicht, dass Shakespeare die Spanische Tragödie in Zeiten kennen lernte: bei seiner Ankunft in London, oder gar schon in der Heimath.

Eine Ansicht nämlich geht dahin, dass er den Andronicus bereits in Stratford geschrieben habe: und allerdings, das Stück hat auch die Aehnlichkeit mit den Räubern, dass es ungeachtet des energischen Flügelschlages stark nach der Lampe riecht. Ben Jonson, im strengen Sinne des Wortes Gelehrter, hat durch sein abfälliges Urtheil über Shakespeare's classische Bildung Irrthümer erzeugt, die erst neuerdings über Bord geworfen werden. Man darf sich ja nur erinnern, dass das Latein damals für Jeden, der einigermaassen ein Weltmann heissen wollte, Umgangssprache war. Und

überflüssig gemacht; oder das Ganze sollte wenigstens kürzer gefasst sein. Vergleiche man nun damit, was in Heinrich VI. Suffolk von der Prinzessin Margarete sagt: She's beautiful, and therefore to be woo'd,

She is a woman, therefore to be won.

Das ,,beautiful" und die beiden ,,to be" mit ihrer verschieden schillernden Bedeutung klingen sie nicht wie eine aus innerem Bedürfniss hervorgegangene Verbesserung und geschicktere Anwendung der früheren Sentenz? Jedenfalls hätte Shakespeare nach der Stelle in Heinrich VI. die Stelle im Andronicus nicht mehr schreiben können. Ganz anders, wenn er, in deutlicher Erinnerung an diese etwas schwache Stelle, den Richard III. nach der frechen Scene mit Anna ausrufen lässt:

Was ever woman in this humour woo'd?

Was ever woman in this humour won?

In solchem Zusammenhange freilich ist zwischen ,,woo'd" und,,won" eine Steigerung, in welcher er seinen echten Genius erkennen durfte.

1) In der Spanischen Tragödie:

Then rest we here a-while in our unrest.

Im Andronicus:

But let her rest in her unrest a-while.

will man nach der Schule zu Stratford fragen, so theilt Malone (II, 561-64) von zwei damaligen Stratforder Persönlichkeiten, von dem auch sonst bekannten Abraham Sturley und von dem zehnjährigen Richard Quiney (letzterer zwar noch nicht ganz integer pennae scelerisque purus), lateinische Briefe mit, wie sie heutzutage ausserhalb des engeren Berufskreises, zumal bei Erwachsenen, nicht eben häufig zu erfragen sein dürften. Doch was brauchen wir weiter Zeugniss? Der Andronicus selbst ist ein vollständiger Stratforder Schulbericht. Später hätte der Dichter nicht mehr Zeit gehabt, das Versäumte nachzuholen: im Gegentheil, er hat ja eben gleich in seinen ersten Stücken, und im Andronicus vor allen, den Stratforder Schulsack glücklich ausgeleert.

Wenn nun aber auch unstreitig die Abfassung des Stückes früher, vielleicht beträchtlich früher als 1589 fällt, so ist damit für die Zeit der ersten Aufführung noch nichts bewiesen: und die fünfundzwanzig Jahre des exacten Ben können deshalb dennoch, richtig verstanden, eine Wahrheit sein. Habent sua fata libretti.1) Es lässt sich recht gut denken, dass die Schauspieler mit den Komödien und auch mit den Historien des Anfängers weniger zaghaft waren als mit seinem Trauerspiel, besonders wenn er es schon aus dem Studierwinkel von Stratford mitgebracht haben sollte. Dass vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist, weiss man kaum anderswo so gut wie auf der Bühne: das tragische Pathos mehr als jede andere Dichtart verlangt zum völlig furchtlos sichern Auftreten einen Namen von bereits durchgedrungener Autorität. Ein Scythian shepherd" hielt die Künstler, die seine lastbaren Monarchen vorstellten, nicht bloss scenisch, sondern eine Weile auch moralisch vor seinen Wagen gespannt und der jüngere Schäfer, wenn er auch für sich selbst seines Berufs zur Thronfolge noch so versichert war, musste vielleicht seinen Andronicus diese ganze Weile, ja vielleicht schon länger her im Pulte hüten.

Und wenn erst der Kothurn seines Historiendramas den höheren und gefährlicheren Stelzen seiner Tragödie die Bahn gebrochen hätte? und wenn es die Pembroketruppe gewesen wäre, bei welcher er zuerst für die zündenden Heinrichsdramen und für das verkannte Hauptzugstück Vertrauen fand?

Die Allgemeinheit, mit welcher Greene von den Schauspielern in Bezug auf Shakespeare spricht, würde mit einer Annahme, wobei

1) Vergl. z. B. das Stück, von welchem Hamlet spricht, das (nach Gerstenberg's Uebersetzung),,der Menge wie gepökelter Störrogen schmeckte."

es sich um zwei Truppen handeln kann, gar wohl zusammen stimmen.

Doch genug, denn das führt nur zur Hypothesenmacherei: und wer sich dieser brodlosen Kunst ergiebt, der läuft Gefahr, in die Hände der Spötter zu fallen, die ihn parodirend von sich selbst sagen lassen könnten:

Jene erbau'n Hypothesen: welch unerlaubtes Beginnen!

Aber unser Hypo, freilich, versteht sich von selbst.

Deutsche Dichter in ihrem Verhältniss zu

Shakespeare.

Von

C. C. Hense.

I.

Die reiche Erbschaft, welche Shakespeare in seinen Dichtungen

seinem Vaterlande und der Welt hinterlassen hat, war für Deutschland so lange ein fast unbekannter und ungehobener Schatz, bis Lessing's sicherer Blick diese Welt von Schönheit, Tiefe und Wahrheit den Deutschen entdeckte. Lessing's kritisches Verdienst hat Shakespeare's leuchtendes Gestirn den Deutschen in seinem Glanze gezeigt und die Nebel verscheucht, welche in den Zeiten der Unnatur und Formenerstarrtheit den Werth jener Dichtungen zu erkennen verhinderten. Durch Lessing und Wieland's Uebersetzung yurde Shakespeare ein Urheber neuen Lebens auf dem Gebiete der Poesie, und die dichterischen Genien bemächtigten sich zuerst jener staunenswerthen Schätze und liessen sie auf ihre eigene Production wirken. Nicht in ihrem ganzen Umfange haben Shakespeare's Dichtungen auf jeden einzelnen Dichter ihren Einfluss 'geäussert; vielmehr wurde jeder von einer besonderen Richtung Shakespeare's angezogen und von derjenigen bestimmt, zu welcher er durch eigene Begabung und Neigung eine vorwaltende Wahlverwandtschaft hatte. Das Zeitalter der beginnenden Liebe zu Shakespeare in Deutschland sehnte sich nach Natur und nach den frischen durch überkünstliche Umzäunung so lange verschlossenen Lebenswassern; ,,starke Gefühle, lebhafte Bewegungen, Leidenschaften!" das war der Ruf der stürmischen Jugend des Zeitalters; Shakespeare bot ihnen in Ueberfülle,

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