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Shakespeare's Werth für unsere nationale

Literatur.

Von

Wilhelm Oehlmann.

Schon ehe noch Shakespeare unter uns allgemeiner bekannt ward, sind nicht bloss die mangelhaften Dramen der Italiener und Franzosen bei uns beachtet und studirt, sondern auch die dramatischen Meisterwerke der Alten gründlich gewürdigt worden, und es gab gewiss nicht Wenige unter uns, welche diese antiken Dramen ohne die Brille der französischen Afterästhetik anzuschauen und sie mit wirklich klassisch gebildetem Auge aufzufassen vermochten. Dennoch hatte nicht einmal dieses Studium und diese Verehrung, geschweige die der Italiener und Franzosen die Folge, bei uns wahrhaft nationale Dramen und nationale Literatur zu wecken und hervorzubringen, unstreitig deshalb, weil diesen Vorbildern sämmtlich ein unmittelbares Verhältniss zu uns fehlt, wie es die Gleichartigkeit der Nationalität und die dadurch bedingte Richtung der Denk- und Gemüthskräfte allein hervorzubringen vermag. Sie sprachen eben nur sehr wenig zu unseren Anschauungen und noch weniger zu unserem Gemüthe mit den aus diesem hervorgehenden Institutionen in Familie, Gesellschaft, Recht, Kunst und Religion.

Da trat unter uns bekanntlich der gewaltige Riese Lessing auf. Mit Keulenschlägen zertrümmerte er in seiner Hamburgischen Dramaturgie die damals verehrten französischen Fratzen. Er zeigte uns die Jämmerlichkeit einer Geistererscheinung in einem Stücke Voltaire's gegenüber dem Mark und Bein erschütternden Auftreten des Geistes von Hamlet's Vater. Er zeigte, dass diese Ohnmacht eines

Voltaire'schen Gespenstes nicht an dem abhanden gekommenen Gespensterglauben, sondern an der Mittelmässigkeit des Herrn von Voltaire liege. Er zeigte uns, dass an der Zaire dieses Herrn nur die „Galanterie, aber nicht die Liebe habe mitarbeiten helfen," und dass die einzige Tragödie, wo dies der Fall, Romeo und Julie Shakespeare's sei. Er wies dasselbe Verhältniss für die Eifersucht an Shakespeare's Othello nach gegenüber der „kahlen Figur,“ welche diese Leidenschaft in Voltaire's Orosman spiele. Er befreiete uns von den lächerlichen Pedanterien, an denen die Auffassung der tiefsinnigen aristotelischen Poetik damals durch den Einfluss der flachköpfigen Franzosen litt. Er wies dagegen auf Shakespeare hin, um zu zeigen, dass die „Verzierungen des äusseren Theaters" sehr gleichgültig seien. Ja er hatte sogar die damals unerhörte Kühnheit, zu behaupten, dass die Franzosen überhaupt noch kein tragisches Theater besässen. Er wies dagegen wieder und immer wieder auf Shakespeare hin, dass „auf die geringsten seiner Schönheiten ein Stämpel (sic!) gedrückt“ sei, „,welcher gleich der ganzen Welt zuruft ich bin Shakespeare's!" Er lehrte uns ausserdem, wie weit der Dichter sich um historische Wahrheit zu kümmern habe, nämlich nicht weiter als sie einer wohleingerichteten Fabel ähnlich ist, mit der er seine Absichten verbinden kann." ,,Wenn der Dichter die Fabel nicht besser erdichten kann, als sie geschehen ist," so ist sie für ihn brauchbar. Er lehrte uns, dass der Vortheil der einheimischen Sitten für den Dichter darin bestehe, dass er sie ,,nicht langweilig zu schildern und uns mit ihnen bekannt zu machen brauche, so dass er der Arbeit der Beschreibungen und Winke darüber überhoben sei, somit seine Personen gleich direct danach handeln lassen könne und zugleich die Illusion bei dem Zuschauer erhöhe." Kurz er befreite uns von den zu engen Schranken ästhetischer Regeln, von ängstlicher Beachtung geschichtlicher Wahrheit und eben dergleichen Modernität, indem er uns zugleich ein leuchtendes Vorbild aufwies, wo wir dies Alles bereits geleistet, wo wir wahre Leidenschaften geschildert fänden.

Wir fühlten, er hatte uns Bein von unserem Bein und Fleisch von unserem Fleisch gegeben. Es war als wenn wir nach langem Hocken in dumpfer Stubenluft einmal wieder athmeten frischen Waldesduft.

Greift nur hinein in's volle Menschenleben!...

Und wo ihr's packt, da ist's interessant!

rief es uns aus diesen Dramen: Richard III., Heinrich IV., Hamlet, Lear, Macbeth, Kaufmann von Venedig etc. etc. heraus entgegen.

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Es ist bekannt, dass in Folge hiervon nicht nur Lessing's Dramen selbst anders wurden, sondern dass vor Allem dadurch Goethe's urfrischer, kerngesunder Götz von Berlichingen erstand, in welchem der Dichter unbewusst mit glücklichstem Instinct mit der alten Lebensbeschreibung seines Helden ebenso verfuhr wie einst Shakespeare mit seinem Holinshed und seinem sonstigen literarischen und volksthümlich überlieferten Material.

Die der Nation entfremdeten Geister unter uns klagten bekanntlich, dass dieser Götz in der ,,mauvaise manière anglaise" geschrieben sei und deshalb nur Verderben für die einheimische Literatur daraus erwachsen werde. Die kleinen Geister der Stürmer und Dränger dagegen überherodesten den Herodes. Es war ihnen so,,kannibalisch wohl" um's Herz geworden.

Aber klar und gross schwang sich über diese DämmerungsNebel gemischt aus Nacht und Morgen empor die Sonne unseres Goethe. Er vertiefte Shakespeare's Werthschätzung, indem er am Hamlet zeigte, was wir an einem solchen Geistesheros besässen. Und Schiller mit seinem grossen geschichtlichen Sinn fühlte aus Shakespeare's englischen Historienstücken fein heraus, welche mächtige Wirkungen sich erzielen lassen müssten, wenn man sie einmal hintereinander aufführen könnte. Der grosse Schröder hatte diesem Allen dadurch die Krone aufgesetzt, dass er nach und nach Shakespeare auch für die Bühne eroberte.

Shakespeare war so die Grundlage und der Ausgangspunkt unserer nationalen Literatur geworden.

Mag auch Winkelmann und Rousseau mitgewirkt haben, ,,Wahrheit und Natur" wieder unter uns heimisch zu machen, der Löwentheil hierin gebührt doch Shakespeare. Das ist der eine Grund, weshalb wir ihn, gestützt auf Lessing's Vorgang, vor allen andern ausländischen Dichtern zu verehren und zu studiren haben, so lange wir es für nöthig erachten werden, uns an unserer Vergangenheit über unsere Zukunft zu besinnen.

Aber heute ist es wohl anders insofern geworden, dass wir diese Leiter, auf welcher wir emporgestiegen sind, nunmehr mit dem Fusse wegzustossen hätten, wie man etwa ein hässliches aber unentbehrliches Gerüst von einem stolzen Bau nach dessen Vollendung zu entfernen hat? Und wozu dies? Damit das „Moderne" ungestört unter uns walte? Da möchten wir doch vor Allem fragen: Ist und kann das Moderne je etwas Anderes sein, als jenes Hineingreifen in das volle Menschenleben?

Und schliesst denn dies aus, dass wir an der Sonne nicht auch bei genauerer Kenntniss endlich ihre Flecken sollten entdecken können? Jeder grosse Mann hängt mit seinem Jahrhundert durch eine Schwäche zusammen. Und so werden wir auch nun mit der Zeit und nach so mannigfaltigen Gesichtspunkten, unter denen Shakespeare seit Lessing unter uns betrachtet worden ist, seine Fehler bemerkt haben, ohne darum seine, namentlich für echte Germanen unvergänglichen Vorzüge hintanzusetzen.

Wir wissen, er bezahlte dem zu seiner Zeit herrschenden Euphuismus seinen Tribut. Aber wenn wir Falstaff scherzen hören: Bringt mein bang Gemahl hinaus,

Denn Thränen stopfen ihrer Augen Schleusen,

so müssen wir uns sagen, der Schalk, der ihm solche Rede eingab, ist gewiss innerlich längst über allen möglichen und unmöglichen Schwulst hinausgewesen, und wir haben, wo wir davon treffen, vor Allem zu fragen, ob denn nicht der sein Publikum kennende Theaterdirector mehr Theil daran gehabt habe, als der Dichter, dessen Auge in schönem Wahnsinn rollte. Vollends wo er, wie z. B. im Hamlet, eine Bühne auf der Bühne improvisirt, hat er offenbar gewusst, weshalb er für Schauspieler innerhalb eines Schauspiels den Wortpomp zu steigern habe.

Die Lockerheit seiner Composition wird schon sowohl durch unsere Theater-Einrichtungen wie durch die geringere Naivetät unseres Theaterpublikums ,,sie haben so erschrecklich viel gelesen" auf ein ganz anderes Niveau herabgedrückt. Uebrigens, ist denn nicht in seinen Stücken selbst schon hierin ein grosser Unterschied und Fortschritt zu erblicken? Von ersten schwachen Anfängen an kann man unter ihnen immer straffere und gegliedertere entdecken. Lear, Hamlet, Julius Cäsar, Othello, Coriolan, Heinrich VIII., Macbeth lassen ein unverkennbares Aufsteigen hierin wahrnehmen.

Sein oftmaliger Mangel an Motivirung sollte uns vor Allem in unserer zu grossen Neigung hierzu zurückhalten, eine Neigung, an welcher bekanntlich selbst Goethe litt, wie er recht wohl wusste. Wir sollten vielmehr dadurch einsehen lernen, dass grosse Effecte auch ohne haarkleine Begründung zu erreichen sind. Ophelia's Wahnsinn mag schwer zu begründen sein. Dennoch ist es mir ewig unvergesslich, wie die Crelinger in dieser Scene mit starren Augen und überhaupt gleichsam schon als halbstarre Leiche, mit. unmerklichen Bewegungen Stroh streuend über die Bühne schritt. Es ist das Grossartigste und Tiefergreifendste, das ich je auf der

Bühne gesehen habe, es müsste denn das Auftreten derselben grossen Künstlerin als Lady Macbeth in der Wahnsinns-Scene gewesen sein mit dem vergeblichen Händeringen um das vermeintliche Blut abzuwischen.

Dass Shakespeare die Wort witzeleien und Silbenstechereien in ihrem Werthe wohl erkannt, beweisen Hamlet's Reden mit den Todtengräbern und über sie. Er wird dieser Redeweise auch mehr als Theaterunternehmer für sein Publikum, denn als Dichter gehuldigt haben. Wo aber seine Witze solchen inneren Gehalt bergen wie in Heinrich IV., in dem verstellten Wahnsinn Hamlet's, in den Reden des Narren im Lear etc. ist er uns dessenungeachtet ewig unerreichtes Muster.

Ob endlich die vielgetadelte Mischung des Komischen und Tragischen so unbedingt zu verwerfen sei, ist denn doch gar sehr die Frage. Für eine Alles anerkennende, Alles umfassende, für die tief-kosmische, die echt-germanische Weltanschauung hat Komisches und Tragisches das völlig gleiche Recht. Wer mag die Amme in Romeo und Julie mit ihrer nur grobsinnlichen Auffassung der Liebe als Contrast missen, wer die Volksscenen in Heinrich VI. (Cade), Coriolan und vor Allem in Julius Cäsar? Wen packt nicht das Weinen des Kent und des Narren im Lear, das unter Lachen verborgen liegt? Wen nicht der ebenso überdeckte Schmerzensschrei Hamlet's in seinem verstellten Wahnsinn? etc.

Aber über dies Alles hinaus bleibt Shakespeare unerreichtes Muster und Meister für kräftig-realistische Charakter-Zeichnung und eben solche Lebensschilderung, ganz besonders für uns Deutsche mit unserer oft zu grossen Abkehr von der Wirklichkeit und Neigung zum Phantastisch - Doctrinären und Verschwommenen, zum Nipperlichen und Sentimentalen, kurz zum Uebersehen der Bäume über dem Walde. Seitdem Shakespeare durch die vortrefflichste Uebersetzung uns Allen so leicht zugänglich gemacht ist, seitdem aus ihm so viele geflügelte Worte" in unserem täglichen Geistesverkehr als echte vollwichtige Münzen rouliren, wird er trotz seiner unwesentlichen und meist nur halb gegründeten Mängel gerade in den genannten für uns so werthvollen Eigenschaften und mit seinem echtgermanischen Gepräge wie bis jetzt so für immer ein Stützpunkt unserer nationalen Literatur bleiben.

Und das ist denn der zweite Grund, weshalb wir diesen hohen Leuchtthurm nicht blos für unsere zurückgelegte, sondern auch für die noch zurückzulegende Fahrt auf dem Oceane der Geschichte. unverrückt im Auge zu behalten und ihn allen übrigen fremden

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