Page images
PDF
EPUB

Dichtern vorzuziehen haben. Wie niemals die beste Uebersetzung die Lectüre eines Schriftstellers in der Ursprache ersetzt, so müssen wir immer wieder zu Shakespeare selbst zurückkehren, obgleich uns unsere Kritiker nicht bloss, sondern auch unsere Dichter längst gelehrt haben, wie viel sich aus ihm schöpfen lasse; denn er ist wie alles wahrhaft Vortreffliche mit diesem Allen noch nicht erschöpft worden und wird es für uns nie werden. Und wie am wahrhaft Vortrefflichen auch das Kleinste und Unbedeutendste zu beachten ist, so darf denn auch nichts dergleichen uns an Shakespeare fremd bleiben. Er muss nach allen Seiten, nicht blos ästhetisch oder nur nach seiner Bühnenmässigkeit, sondern auch philologisch im weitesten Sinne gewürdigt werden, soll es überhaupt genügend geschehen.

Wenn uns, wie Goethe einst äusserte, ein Mann wie Lessing wieder Noth thut, so wollen wir, mit Einem Wort, doch vor Allem an solcher Lessing'schen Auffassung Shakespeare's festhalten, damit wir wenigstens nicht hierin wieder unter Lessing zurücksinken! Und so lange wir das thun, wollen wir den Vorwurf getrost über uns ergehen lassen, dass wir Shakespeare zu hoch stellten. Ja wir wollen sogar dringend wünschen, dass an Stelle des übertriebenen Latein- und Griechisch-Treibens unserer Gymnasien recht bald ein ihm das Gegengewicht haltendes Studium Shakespeare's treten möge; denn dieses wird sicher zur Förderung eines weltweiten Blicks mindestens ebensoviel beitragen, wie das Studium der alten Klassiker, indem diese letzteren das jugendliche Gemüth durch das scheussliche Institut der Sklaverei und die gänzliche Nichtanerkennung fremder Nationen, welche die Basis ihrer humanen Anschauungen bilden, ja sogar durch ihre unserem Sprachgenius so sehr zuwiderlaufende Redeweise nur zu häufig mehr verwirren als klar machen. Möchten doch diejenigen, welche über ShakespeareManie eifern, einmal beachten, dass die alten Klassiker Shakespeare hierin unendlich nachstehen, da sie uns in jenen Beziehungen nicht nur kein Analogon für unsere Wirklichkeit bieten, sondern letztere sogar schädlich beeinflussen.

Wie soll man Shakespeare spielen?

Ein Fragment.

Von

H. Freiherrn v. Friesen.

Zur Einleitung.

Wiewohl die Bezeichnung dieses Aufsatzes als „Fragment" durch den Inhalt selbst seine Erklärung findet, kann ich doch nicht unbemerkt lassen, dass er auch als solches gewissermaassen der Entschuldigung bedarf. Er hat seine erste Veranlassung gefunden durch eine, fast möchte ich sagen, vermessene Acusserung, zu welcher ich mich in heiterer Laune bei einem yertraulich-freundschaftlichen Vereine einiger Mitglieder unserer Shakespeare - Gesellschaft verleiten liess. Die Schwere der Aufgabe, die an der Spitze stehende Frage erschöpfend zu beantworten, wurde mir zwar immer klarer, und in der Ueberzeugung, dass sie das Maass meiner Kräfte übersteige, würde ich von der gegebenen Zusage, einen Aufsatz zur Beantwortung derselben dem diesjährigen Jahrbuch zu übergeben, gern wieder zurückgetreten sein, wenn ich nicht durch die liebevolle Nachsicht einiger meiner Herren Collegen dazu aufgemuntert worden wäre, so zu sagen mindestens eine Abschlagszahlung auf meine Schuld zu leisten. So bleibt mir denn also noch übrig, auch die Leser dieses Aufsatzes darum zu bitten, dass sie ihn von diesem Standpunkte aus mit Nachsicht beurtheilen, wogegen ich, wenn ich dieser Nachsicht versichert sein darf, mir vorbehalte, in der Folge eine ergänzende Fortsetzung zu geben, in welcher die Anwendung der flüchtig hingeworfenen Auslassungen auf die eine oder die andere der Shakespeare'schen Rollen ausgeführt werden kann.

Ich hatte vor nicht langer Zeit einen Freund von wunderlicher

Natur. Der sonderbare alte Mann konnte, trotz seines wohlwollenden Wesens, sofort in gewaltigen Zorn gerathen, wenn von der heutigen Behandlung der Schauspielkunst die Rede war. Sein Unwille machte sich dann in den launigsten Scheltworten Luft und wir jüngeren Leute kamen oft in den Fall, ihn für hart und unge

recht zu halten. Wenn er versicherte, dass die dramatische Kunst auf das Tiefste gesunken, ja, fast ihrem Untergang nahe sei, mussten wir ihm entgegnen, dass er augenscheinlich nach einseitiger Anschauung urtheile, und wahrscheinlich die Eindrücke seiner Jugend, wo er allerdings für das Theater eine fast leidenschaftliche Vorliebe an den Tag gelegt hatte, allzusehr überschätze, weshalb er denn bei kühlerer Anschauung die früher genossene Befriedigung nicht wieder finden könne. Es verstand sich von selbst, dass solche Einwürfe das Uebel ärger machten. Ohne uns geradezu den Vorwurf der Ignoranz zu machen, lag doch in seinen Erwiderungen das Bewusstsein, er könne nicht wohl mit uns streiten, weil wir einen Standpunkt einnähmen, den er nicht zu theilen vermöge. Ja, er liess sich zuweilen so weit hinreissen, dass er von einem wahren Heidenthum, das jetzt auf der Bühne herrsche, sprach, und frei erklärte, er wolle lieber, um mit Lessing zu reden, für einen Huronen gelten, als diesem Fetischdienste seine Kniee beugen. So gern wir nun von ihm gelernt hätten denn er war in der That gründlich unterrichtet, bewandert in der deutschen, englischen, französischen, zum Theil auch spanischen Literatur der Bühne, hatte in seinen früheren Jahren die besten Theater besucht und ihre Künstler bis auf Esslair hinauf genau kennen gelernt so war dies doch auf diesem Wege des launigen Tadels oder sarkastischer Bemerkungen nicht wohl möglich. Wir begnügten uns daher mit dem nicht immer leichten Auskunftsmittel, ihn so oft als thunlich mit uns in das Theater zu ziehen, um während der Darstellung aus seinen Mienen, Gebährden und abgerissenen Bemerkungen zu schliessen, wo die Gründe seines Tadels hauptsächlich zu suchen seien. Wir gewannen dabei nicht selten einen Einblick in das, was er am Meisten missbilligte, ja wir lernten wohl auch aus manchen seiner kurzen Aeusserungen bald hier, bald dort eine neue Seite des dargestellten Stückes oder ein gelungenes Wort der darstellenden Künstler kennen, das uns ohne diesen Wink entgangen sein würde. Aber wir mussten uns doch gestehen, dass wir immer mehr erfuhren, wie es nicht sein solle, als wie es seiner Meinung nach als gut oder mindestens befriedigend beansprucht werden dürfe. Dessenungeachtet war uns seine Gegenwart im Theater zur angenehmen Gewohnheit, ich darf wohl sagen unentbehrlich geworden. Wir waren daher nicht wenig betroffen, als uns der wunderliche Alte eines Tages mit unerschütterlicher Festigkeit versicherte, er könne niemals wieder das Theater besuchen. Alle Bemühungen, diese neue Grille zu bekämpfen denn für eine solche mussten wir diesen Widerspruch halten,

glitten ab an dem ungewöhnlichen Ernste, mit welchem er auf seinem Entschluss beharrte. Nach langen vergeblichen Anstrengungen, mindestens eine Erklärung seiner Beweggründe zu erlangen, legte sich sein sonst vorherrschend heiteres Gesicht in ernste Falten, und er begann mit feierlichem und doch humoristischen Tone: Eure Augen, ihr armen Bethörten, sind von dem Heidenthum, das auf der heutigen Bühne in Blüthe steht, dermaassen verblendet, dass ihr nicht sehen konntet, was seit langer Zeit um euch vorgegangen ist. Ich aber habe das wunderbare Begebniss mit tiefer Erschütterung wahrgenommen, und trotzdem mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt. Seit geraumer Zeit, ob es nun Monate oder Jahre sind, ich weiss es nicht, erregte meine Aufmerksamkeit eine geheimnissvolle dunkle Gestalt, welche allabendlich in dem Theater erschien. Der räthselhafte Mann sass gewöhnlich in einem dunklen Winkel, bald in einer Loge, bald in dem tiefsten Grunde des Balkons. Trotz des Mangels an Licht konnte ich in seinen Mienen und Gebährden. den Ausdruck des tiefsten Schmerzes bemerken. Kein Lustspiel, keine Posse, nicht der ausgelassenste Scherz, der im Parterre mit brüllendem Gelächter begleitet wurde, konnte ihm nur ein Lächeln abgewinnen. Wenn eine Bewegung des greisen Hauptes dasselbe zufällig den Strahlen der Gasflammen aussetzte, sah ich vielmehr den Abglanz dieser in einem Strom von Thränen, der aus seinen tiefliegenden Augen in den Bart hinabfloss. Nun hatte ich zwar schon früher erlebt, dass schwache Gemüther, sei es in einem Kotzebue'schen, Iffland'schen oder sonst einem hochgepriesenen Drama (besonders Houwald that Wunder in dieser Hinsicht), zu Thränen gerührt wurden, wo mein dürftiges Fassungsvermögen nicht mehr als eine platte Albernheit bemerken konnte. Aber das konnte es nicht sein. Ob ich an eine seltsame Geisteszerrüttung, an eine Monomanie denken dürfe, wollte mir nicht klar werden. Unter allen Umständen flösste mir die edle Gestaltung des Gesichtes, je mehr ich sie betrachtete, ein Gefühl ein, von dem ich nicht wusste, ob ich es Ehrfurcht, Bewunderung, Liebe nennen sollte; nur das war mir im Anblick dieser hohen Stirn, der schön geschwungenen Augenbrauen, des feinen, von einem mässigen Bart beschatteten Mundes unzweifelhaft, dass ich das tiefste Mitleid empfand.

Hier brach die Ungeduld einiger unserer jüngsten Genossen unwiderstehlich los. Man beschuldigte den alten Schäker, nicht ganz mit Unrecht, dass er uns eine alte Geschichte auftische. Sprechen Sie es doch aus, rief Einer der Lautesten, Sie behaupten, Shakespeare's Schatten gesehen zu haben, der auf Erden umgehen

muss, um seine Sünden in der Qual über die schlechte Aufführung seiner Stücke abzubüssen.

So ist es, sagte der Alte mit grosser Ruhe. Doch warum mich schelten, wenn ich, als Erleuchteter, dieselbe Erscheinung gehabt habe, die einem Andern vor mir geworden? Hat Euch dieser Andère auch erzählt, was mir dieser Schatten vertraut hat, nachdem ich ihn, nicht ohne die äusserste geistige Anstrengung, gestellt habe? Man war hiernach begierig, von diesen Offenbarungen zu hören, wenngleich Einige spöttisch bemerkten, es werde doch von nicht viel mehr die Rede sein, als was uns die bekannte Stelle im Hamlet mittheile.

Allerdings, fuhr mein alter Humorist fort, fielen in unseren langen und wiederholten Unterredungen einige Worte von haarbuschigen Gesellen, von Schauspielern, die sich nicht wie Christen, nicht einmal wie Heiden, und selbst nicht wie Menschen gebährden. Der büssende Schatten ging sogar noch weiter, indem er behaupten wollte, die Mehrheit der heutigen Mimen könnte kaum gehen, stehen und sitzen, geschweige denn im wahren Sinne des Wortes sprechen. Bravo, rief der Jüngste unter uns, da sind wir wieder auf dem bekannten Felde der Uebertreibungen im Tadel! Aber man gebot von mehreren Seiten Stille und der Alte richtete an die Versammlung die beweglichen Worte: Liebe, verblendete Freunde, habt Ihr wohl in Euerm jungen Leben das Wort Disciplin nennen hören? Ich könnte auch wohl sagen, Schule oder Zucht, und wenn Ihr die Bedeutung dieses kleinen Wörtchens kennt, so bitte ich, dass Eure Liebe mir die Frage beantworte, ob die heutige Schauspielerkunst nicht einen wesentlichen Mangel leide an dem, was man Disciplin, Zucht oder Schule nennen dürfe?

Man war auf diese ernste Frage nicht gefasst und da man deshalb verstummte, wollte der Redner eben fortfahren, als Einer aus der Versammlung leidenschaftlich ausbrach: Hilf Himmel, Shakespeare und Schule, Disciplin, Zucht oder wie Ihr das Ding nennen wollt! Sind das nicht Worte und Begriffe, die zu Shakespeare's Dramen ungefähr passen, wie die Faust auf's Auge? Genie, Begeisterung, ja selbst eine in's Unendliche hinausgreifende Phantasie, eine unermessliche Kraft der unmittelbaren Intuition, das sind die Elemente, mit denen Shakespeare wirkt; aber man verschone mich bei dem Urtheil über ihn mit der Hinweisung auf Schule, Disciplin oder Zucht. Das hat uns mit Recht der geistvolle Realist Rümelin nachgewiesen, dass er seine Stücke nur scenenweise gearbeitet habe

und

« PreviousContinue »