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Jahresbericht für 1868-1869.

Abgestattet in der General - Versammlung zu Weimar, am 23. April 1869,

von

H. Ulrici.

Unser verehrter Vice-Präsident hat zwar mit beredtem Munde nachgewiesen, dass England in seiner Cultur- und Geistesentwickelung während des Laufs der Jahrhunderte weiter von dem Genius Shakespeare's sich entfernt habe als Deutschland, und dass daher gegenwärtig bei uns Shakespeare in seinem wahren ewigen Wesen besser verstanden und richtiger gewürdigt werde als in England. Ich glaube, dass wir alle ihm von Herzen beistimmen. Allein leider zeigt sich auch hier wiederum, dass zwischen dem Gedanken und seiner Bethätigung, zwischen dem Werthe einer Sache und ihrem Preise, oft eine weite Kluft gähnt, welche die zusammengehörigen Seiten trennt. Ich meine: wenn die Parallele, welche der verehrte Redner aufgestellt hat, wahr ist und sie ist es ohne Zweifel so müsste consequenter Weise das tiefere Verständniss des Dichters, die engere Verwandtschaft zwischen dem deutschen und dem Shakespeare'schen Genius auch in einem lebendigeren Interesse für seine Dichtungen und somit in einem allgemeineren Interesse für die deutsche Shakespeare - Gesellschaft sich äussern. Das ist aber keineswegs in dem entsprechenden Maasse der Fall. Ich will die. Gründe des Missverhältnisses hier nicht aufsuchen, ich glaube, dass es vornehmlich in der noch immer höchst ungünstigen, an Dürftigkeit gränzenden äussern Lage der gebildeten und gelehrten Klassen unseres Volks, welche noch immer fast ausschliesslich die

Jahrbuch V.

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Träger der deutschen Bildung sind, seinen Grund hat; ich begnüge mich die Thatsache zu constatiren, weil sie in unmittelbarstem Zusammenhang steht mit Dem, was ich als Berichterstatter über das verflossene Verwaltungsjahr unsrer Gesellschaft Ihnen mitzutheilen habe.

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Sie werden aus diesen Vorbemerkungen vielleicht den Schluss gezogen haben, dass der Stand unsrer Angelegenheiten ein sehr ungünstiger sei. Das wollte ich indess doch nicht damit gesagt haben. Ich wollte vielmehr nur andeuten, dass er nicht so günstig sei, wie wir wünschen und zu erwarten berechtigt wären, wenn Alles so wäre wie es sein sollte. Denn was zunächst die Zahl der Mitglieder betrifft, die ja immer den entscheidenden Maassstab für die Blüthe eines Vereins abgiebt, so beträgt sie gegenwärtig 193; sie hat sich also keineswegs vermindert, sondern vermehrt, und würde ein weit höheres Maass erreicht haben denn es sind allein im eben vollendeten ersten Viertel des laufenden Jahres 7 neue Mitglieder hinzugetreten, wenn nicht seit Ostern vorigen Jahres mehrere Andere ihren Austritt erklärt hätten. Unter der angegebenen Ziffer sind die Ehrenmitglieder der Gesellschaft nicht begriffen. Auch deren Zahl indess hat einen Zuwachs erfahren, indem der Vorstand einstimmig beschlossen hat, die bekannten englischen Shakespeare-Gelehrten, James Orchard Halliwell und Charles Knight, zu Ehrenmitgliedern zu erwählen. Unter den neu eingetretenen ordentlichen Mitgliedern haben wir die Ehre Se. Majestät den König von Sachsen, Se. Königl. Hoheit den Grossherzog, den erlauchten Landesherrn der Heimath unseres Vereins und Gemahl unserer allergnädigsten Lady Patroness, Se. Hoheit den Herzog Georg von Meiningen und Se. Durchlaucht den regierenden Fürsten Heinrich XIV. von Reuss j. L. nennen zu dürfen. Ich führe diess an, weil doch nicht bloss die Zahl, sondern auch der Werth der Mitglieder über die Blüthe und Bedeutung einer Gesellschaft entscheidet. Ich füge hinzu, dass wir hoffen dürfen, an der gegenwärtigen Zahl unserer Mitglieder einen festen Bestand zu haben, der wahrscheinlich nicht wieder durch Austrittserklärungen vermindert werden wird. Es liegt ja in der Natur der Sache, dass in einen neu gegründeten Verein anfänglich eine Anzahl von Personen aus blosser Neugierde, aus Gefälligkeit gegen Andere, aus Missverständniss über seine Zwecke und Leistungsfähigkeit, auch wohl aus eigensüchtiger Absicht, ihn als Mittel für ihre Privatzwecke zu brauchen, sich aufnehmen lassen, die dann, enttäuscht oder der Sache überdrüssig, ebenso grundlos wieder austreten wie sie eingetreten waren, während Andere,

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