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darauf. Die Handlung ohne dieses Vorspiel liegt zwischen drei und sechs Uhr und umfasst also nur drei Stunden, wie schon Drake rühmend hervorhebt. So können wir wenigstens annehmen, da wir viermal, in C, F, G und H, auf Erwähnung von drei Stunden stossen, unbekümmert darum, dass sich C, F, G und H genau genommen auf verschiedene Momente der Handlung beziehen. Unter Prospero's Bezeichnung in A, es sei zwei Stunden auf's Wenigste" über Mittag, verstehen wir also etwa drei Uhr". Dass mit dem Schluss der Handlung um sechs Uhr die Nacht hereinbricht, wird durch Prospero's Schlussworte in I für sich allein schon ausreichend bewiesen, denn darum gehen sie ja eben Alle in die Zelle. Dass dieser Umstand aber nicht halb zufällig, sondern vom Dichter vorbedacht sei, sehen wir erstens daraus, dass Prospero in A sagt, er müsse bis sechs Uhr, in B, bis zur Abendmahlzeit fertig sein; zweitens daraus, dass in C auf Miranda's,,Ihr seid auf drei Stunden sicher", Ferdinand antwortet: ,,Die Sonne wird untergehen," d. h. bis dahin. Und wenn in D Prospero sagt: „Die Zeit geht aufrecht unter ihrer Last," so spiegelt sich gleichfalls in dieser schönen Metapher leise das Nahen des Abends, denn man hat das Gefühl, als würde er auf solch ein Bild nicht kommen, wenn es nicht spät am Tage wäre. Die erste Zeile von D: ,,Now does my project gather to a head" möchte ich aus demselben Gefühl heraus nicht wie Dingelstedt übersetzen: „Jetzt naht mein Unternehmen seinem Gipfel," denn dies Bild steht in einem gewissen Widerspruch, passt nicht zur sinkenden Sonne. Shakespeare hätte, glaube ich, nicht so gesprochen. Wörtlich steht: Jetzt sammelt (gather) sich mein Entwurf zu einem Kopf. Der Wundermann Prospero zeigt sich als Mediciner, denn sein Bild ist genommen von einem Geschwür (a gathering), welches, wenn die Materie sich zu einem Kopf sammelt, reif ist für das Messer des Wundarztes" (vergl. Jephson).

Nehmen wir zu den Beweisen, welche uns das herbstliche Kolorit, die Monats-Angabe und die Zeitbestimmungen des Sturmes liefern, als viertes Argument seine ausserordentliche Verwandtschaft mit dem Sommernachtstraum) hinzu, so kann uns kein Zweifel bleiben, dass, wie jenes Stück zum Sommeranfang, zur Walpurgisnacht, bestimmt war, so der Sturm für den Herbstanfang, zur Tagund Nacht-Gleiche geschrieben, und auch wohl der Absicht des

1) Siehe Ulrici's trefflichen Vergleich zwischen beiden Stücken (II, 529 der 2ten Aufl.), woraus auch die folgenden Citate.

Dichters gemäss um den 21. September zum ersten Mal aufgeführt sei, vielleicht zur Eröffnung des Blackfriars-, des Winter-Theaters.

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Wir erfahren ferner im Stücke, dass die Handlung vor sich geht während derjenigen Zeit, welche Prospero sonst einsam in seiner Zelle zu verbringen pflegte nach Caliban's Meinung, um zu schlafen: III, 3. „Es ist bei ihm Sitte, des Nachmittags zu ruhn," und weiter unten: ,,In einer halben Stund' ist er im Schlaf" nach Miranda's Angabe, um über seinen Büchern zu grübeln: III, 1. ,,Mein Vater Steckt tief in Büchern: Bitte, ruht euch aus! Ihr seid vor ihm jetzt auf drei Stunden sicher" nach unserem Gefühl, um, identisch mit Shakespeare selbst, gedankenvollen Träumen nachzusinnen. Wir halten diese Auffassung um so mehr für richtig, als wir auch sonst erkennen, dass der Dichter auf eine Einheit der Zeit im allerstrengsten Sinne hingearbeitet habe. Es ist nämlich nicht allein die aristotelische Forderung erfüllt, sondern, indem das Stück nur etwa drei Stunden umfasst, und eben diese Zeit zur Aufführung desselben nöthig ist, decken sich die Zeit der Handlung und die Zeit der Aufführung. Ja, diese Uebereinstimmung wird noch genauer, wenn wir uns daran erinnern, dass zu Shakespeare's Zeit die Nachmittags-Aufführungen vorwogen, und die gewöhnliche Theaterzeit, wie jetzt von sieben bis zehn Uhr Abends, so damals von drei bis sechs Uhr Nachmittags war.') Indem also der Dichter die Handlung am Herbstnachmittage des Aequinoktiums, von etwa drei bis sechs Uhr, sich abspinnen lässt, bringt er sie in genauen zeitlichen Einklang mit der Aufführung, welche gleichfalls an demselben Herbstnachmittage von drei bis sechs Uhr stattfand. Es war noch ein kleiner Schritt weiter, die Zeit des Traumes mit der Zeit des Geträumten zusammenfallen zu lassen, indem er das Ganze als Herbstnachmittagstraum dachte. Wie der Sommernachtstraum nicht allein ein Traum ist, wie sie in linden Sommernächten von dem „,übermüthigen Jünglinge oder dem frischen, freien, aus dem Jünglingsalter eben erst herausgetretenen Manne" geträumt werden, sondern auch die Handlung sich wesentlich in und um eine solche Nacht dreht, fällt umgekehrt der Sturm nicht allein der Zeit, sondern auch dem Geiste nach auf einen Herbstnachmittag, ist ein Traum, wie sie dem,,gereiften, zum Alter sich hinneigenden Manne eigen zu sein" pflegen, geträumt von Prospero-Shakespeare in den Stunden seiner Nachmittagsruhe.2)

1) Collier, Hist. of Engl. Dram. Poet. III, 377.

") Auch der Umstand, dass unser Stück von einer stürmischen Erregung der Natur beginnend, zu wogender Ruhe sich sänftigt, während der Sommernachtstraum sich von

,,Die sichtbare Natur, sagt Emerson,') hat eine geistige und moralische Seite. Jede Jahreszeit entspricht einem verschiedenen Gemüthszustande." Die Gefühle und Gedanken eines offenen und gesunden Herzens stehen in Harmonie mit der äusseren Umgebung, mit der Landschaft, so dass Eines das Andere bedingt. Auf der einen Seite trägt die Natur die Farben des Geistes und umgekehrt auf der anderen Seite wandelt sich das bunte Farbenspiel unseres Herzens nach der äusseren Beleuchtung. Die Gedanken und Ideen des Sturmes sind solche, wie sie am liebsten aus einem Herbstnachmittage herauszureifen pflegen. Wenn du in deinem Studirstübchen sitzest und schauest hinaus in die graue Ferne, und gelbliches Laub raschelt hernieder auf das Gesims des Fensters, und mit Eile saust Boreas durch die Aeste, ,,man weiss nicht, von wannen er kommt und wohin er geht," da stimmt die hinsterben de Natur zu ernsten Gedanken die Seele des Mannes, der auch schon eintrat in den Herbst des Lebens. Siehe, das Alte muss vergehen, um einem neuen Frühling Platz zu machen. Die alten Halme welken dahin, nachdem sie Frucht getragen, und werden wieder zu Staub, woraus sie geboren. War ihr Zweck kein anderer, als den Boden zu düngen, damit eine neue Generation in üppigerer Fülle daraus aufspriessen könne? Was ist es um die Bestimmung des Menschen? Was war vor uns und was wird nach uns kommen? Woher, wohin wir selbst? Soll all diese Menschenpracht, die wolkenhohen Thürme, die Paläste, die heiligen Tempel und gar der grosse Erdball selbst, sollen sie spurlos untergehen? Ja, so klagt Schiller, ,,Auch das Schöne muss sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,

Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus. Siehe, da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,

Dass das Schöne vergeht, dass das Vollkommene stirbt."

Ja, ja, wir sind aus gleichem Stoff geschaffen wie die Träume, und dies kleine Leben ist rings uingrenzt von einem Schlaf. Ach, es ist ein Gedanke, der den Jüngling niederdrücken möchte und bisweilen noch im gereiften Manne Zorn erweckt gegen das Dasein. Da aber kommt die Liebe, die den Menschen versöhnt mit sich selbst und mit dem Leben, die Liebe, die Generation mit Generation

einem ruhigeren Anfang zu bunter Konfusion steigert, scheint gut zu passen für das physiologische Verhältniss eines Traumes nach Tisch zu einem Sommernachtstraum. 1) Ralph Waldo Emerson in seinem schönen Essay ,,Die Natur". Deutsch von Holtermann. Hannover 1868.

Jahrbuch V.

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verknüpft und die zweite in erhöhter Vollkommenheit zeugt aus der ersten, die Liebe des Vaters, der im Sohne sich wiedererstehen sieht, sie, welche den Menschen sich selbst ausser sich setzen lässt und fortleben in diesem zweiten Ich, also dass der Greis, obwohl er für sich selbst von der Eitelkeit der irdischen Dinge überzeugt ist, mit dem erst in's Leben hinausstürmenden Sohne auf's neue hofft und fürchtet und sein selbst darüber vergisst bis zum Versinken in die Ruhe des ewigen Schlafes.

Die Prosa in Shakespeare's Dramen.

Von

N. Delius.

In Shakespeare's Dramen bildet der Vers so sehr das vorwaltende Element, dass an ihm vorzugsweise und fast ausschliesslich die Kritik ihre forschende, charakterisirende und sondernde Thätigkeit geübt hat. Weit weniger hat sie ihr Augenmerk auf das zweite Element der Sprache Shakespeare's, auf die Prosa, gerichtet, sei es, dass ihr dieses Element, als ein subalternes, ihrer eingehenden Betrachtung unwerth schien, oder dass man von vornherein von der vermeintlichen Kunstlosigkeit der ungebundenen Rede bei Shakespeare, von der vermeintlichen Sorglosigkeit, mit welcher der Dichter sie auf's Papier geworfen, einer methodischen Behandlung keine sicheren und ergiebigen Resultate versprach. Und doch ist die Prosa in Shakespeare's Dramen kein so lediglich dem Zufall und der Willkür anheimgegebener Bestandtheil, vielmehr, nicht minder wie der Vers, in ihrer verschiedenartigen Abstufung und Anwendung ein vollgültiges Zeugniss für die berechnende Kunst des Dichters, sowie für seine Fähigkeit, jedem Geschöpfe seiner gestaltenden Kraft den ihm gemässen Ausdruck seines ihm zugedachten, man dürfte sagen, ihm anerschaffenen Naturells zu leihen.

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Es wird die Aufgabe der nachfolgenden Blätter sein, diese Wahrheit als eine Thatsache nachzuweisen an der ganzen Reihe der Shakespeare'schen Dramen, in denen die Prosa, in weiterem oder engerem Maasse, ihre Vertretung gefunden hat, und in jedem einzelnen Drama an der ganzen Reihe von Scenen, welche durchgängig oder theilweise in Prosa geschrieben sind. Selbstverständlich fehlen in solcher Musterung sowohl alle durchweg im Reimvers oder im Blank

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