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obwohl der Sache näher stehend, vorsichtig warten und erst sich rühren, nachdem der Verein sich als lebensfähig erwiesen hat. Wir hoffen über dieses Stadium der Entwickelung unserer Gesellschaft glücklich hinaus zu sein.

In entsprechendem oder richtiger, in einem etwas höherem Maasse als die Zahl der Mitglieder, hat sich die Zahl der Bücher unserer Bibliothek vermehrt. Sie bestand zu Anfang Januars 1868 aus ca. 300 Bänden; sie zählt gegenwärtig ca. 400 Bände. Wir verdanken diese Bereicherung an durchgängig werthvollen Werken vor Allem der unerschöpflichen Güte Ihrer Königl. Hoheit der Frau Grossherzogin, die wiederum zum Besten der Bibliothek einen Beitrag von 100 Thlrn. gnädigst bewilligt hat. Mit dem innigsten Danke, den ich dafür Ihrer Königl. Hoheit hier nochmals öffentlich auszusprechen mich gedrungen fühle, verbinde ieh eine ebenso herzliche Danksagung an alle die freundlichen Geber, die durch gütige Uebersendung von Büchern die Schätze unserer Bibliothek erhöht haben.

Auch unsere Finanzlage ist keineswegs eine ungünstige, im Gegentheil günstig zu nennen, weit günstiger wenigstens als die Finanzen der meisten Europäischen Staaten. Da indess unser verehrter Kassenführer, Herr Kommerzienrath Moritz, die Güte haben will, Ihnen über den Stand unserer Finanzen eine genauere Uebersicht zu geben, als ich sie liefern könnte, so wende ich mich zu dem letzten Theile unseres Berichtes, zu der Thätigkeit des Vorstandes im Interesse der Gesellschaft.

Wir können uns zwar wiederum nicht rühmen, besonders Viel und Grosses geleistet zu haben. Immerhin indess ist das verflossene Jahr doch keineswegs leer an Werken, die der Verein geschaffen oder weiter gefördert hat. Die Ausgabe der Schlegel - Tieck'schen Uebersetzung von Shakespeare's dramatischen Werken ist rüstig fortgeschritten. Der zweite, dritte und vierte Band sind im Jahre 1868 erschienen; zu ihnen ist im Anfang dieses Jahres der fünfte Band hinzugekommen, und zu meiner Freude kann ich Ihnen anzeigen, dass auch der sechste bereits fertig gedruckt ist. Es werden mithin im laufenden Jahre jedenfalls wiederum drei, vielleicht vier Bände erscheinen, und, die Fortdauer gleich günstiger Umstände vorausgesetzt, könnte das Ganze schon im Jahre 70 vollendet sein. Die soviel ich weiss durchgängig günstigen Urtheile über die bisher ausgegebenen Bände liefern den Beweis, nicht nur dass wir den rechten Weg eingeschlagen, indem wir, statt eines völlig neuen Werks die Schlegel - Tieck'sche Uebersetzung zu Grunde gelegt haben, sondern dass wir auch so glücklich gewesen sind, die rechten Männer

für die Ausführung unsres Unternehmens zu finden. Ich kann das sagen, ohne mich dem Vorwurf des Selbstlobes auszusetzen: denn meine Arbeit als Redacteur ist von so untergeordneter Bedeutung, dass sie nicht in Anschlag kommen kann.

Immerhin indess kann ich mit grösserer Unbefangenheit den vierten Band des Jahrbuchs, der Ihnen heute ausgehändigt werden wird, Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen. Er tritt, denke ich, den bisher erschienenen Bänden in jeder Beziehung würdig zur Seite, und sucht die verschiedenen Interessen, welche bei uns in weit grösserer Mannichfaltigkeit als in England an den Namen Shakespeare sich knüpfen, in grösstmöglicher Gleichmässigkeit, Vollständigkeit und Gründlichkeit zu befriedigen. Wer einigermassen die Schwierigkeiten zu beurtheilen vermag, welche dem Redacteur eines solchen Jahrbuchs fast in höherem Grade noch als den Leitern der journalistischen Presse entgegenstehen, wer die Abneigung unserer Gelehrten kennt, einzelne Artikel zu liefern statt aus dem Ganzen und für das Ganze zu arbeiten, wer da weiss, wie unsicher die von Literaten gegebenen Versprechen sind, der wird sich unserem geehrten Redacteur zu herzlichem Dank für die grosse Mühe und Arbeit, die ihn ohne Zweifel jeder neue Jahrgang kostet, nicht nur verpflichtet fühlen, sondern ihm denselben auch ausdrücken, und das um so lieber, als solche Redacteur - Thätigkeit zu jenen undankbaren Arbeiten gehört, an denen unbillige und übelwollende Kritiker stets viel auszusetzen finden, oder vielmehr nicht finden, sondern suchen.

Schliesslich habe ich Ihnen noch mitzutheilen, dass wir die Absicht haben, das Jahrbuch mit dem nächsten Jahre in Selbstverlag zu nehmen. Der Plan schwebt noch in der Verhandlungsinstanz; aber für die Ausführung desselben sind uns so günstige Zusicherungen von einer renommirten Buchhandlung gemacht worden, dass der Weg bereits geebnet erscheint.

Bericht über die Generalversammlung
zu Weimar,

23. April 1869.

Die vorjährige (fünfte), wiederum im Saale der Erholungs

Gesellschaft abgehaltene Generalversammlung wurde durch einen Vortrag des Herrn Vicepräsidenten Kommerzienrath Oechelhäuser: ,,Die Würdigung Shakespeare's in England und Deutschland. Eine Parallele" eingeleitet.*) Darauf folgten der vorstehend abgedruckte Jahresbericht des Herrn Präsidenten Professor Dr. Ulrici und der Finanzbericht des Schatzmeisters Herrn Kommerzienrath Moritz, aus welchem sich die Finanzlage der Gesellschaft als eine günstige ergab; der behufs der Rechnungsprüfung und Entlastung vorgeschlagene Modus wurde genehmigt. Auf Antrag des Präsidiums beschloss die Versammlung die Absendung eines Glückwunsch - Telegramms an Herrn Dr. Eduard Devrient in Karlsruhe zu seiner 50jährigen Jubelfeier. Ferner genehmigte dieselbe einen auf Antrag des Herrn Präsidenten gefassten Vorstandsbeschluss, nach welchem am Abende vor jeder Generalversammlung freie Discussionen „interessanter, die Shakespeare - Literatur betreffender Fragen und Controversen" Statt finden sollen, zu denen auch die Einführung von Gästen gestattet sein soll. Ein kurzes, vom Herrn Antragsteller entworfenes Regulativ schreibt das Verfahren bei diesen Discussionen vor. Auf den Vorschlag des Vorstandes wurde schliesslich Weimar wiederum zum Orte der nächstjährigen Generalversammlung gewählt.

*) Unter obigem Titel als Handschrift gedruckt, Dessau 1869. H. Heybruch'sche Hofbuchdruckerei.

Shakespeare's Julius Cäsar.

Von

Heinrich Viehoff.

Bei Shakespeare's Lesern gilt allgemein sein Julius Cäsar für

eines seiner Meisterwerke. Gleichwohl ist in der kritischen Welt diese Tragödie bis auf die neueste Zeit Gegenstand vielfacher Ausstellungen gewesen, und zwar in Beziehung auf eine der wichtigsten Eigenschaften eines dramatischen Kunstwerks, die Anlage, Construction und Gliederung des Ganzen. Gottschall (in seiner Poetik vom Standpunkte der Neuzeit) wirft dem Stücke Mangel an Einheit der Handlung und damit auch an Einheit des Interesses vor, zwei der schwersten Anklagen, die man gegen ein Drama erheben kann. Es lösen hier, behauptet er, zwei Haupthelden (Cäsar und Brutus) mit ihren Zwecken einander ab, ähnlich wie bei Schiller Don Carlos und Posa. Andere, von der Unterstellung ausgehend, der Titel des Stücks müsse den Central - Charakter bezeichnen, tadelten, dass der Hauptheld nur in der erstern Hälfte der Tragödie und auch da nur passiv an der Handlung betheiligt sei, dass er, wie Skottowe sich ausdrückt, bloss eingeführt scheine, um getödtet zu werden, und die ganze Hälfte des Dramas, mit den wirkungsvollsten Scenen, hinter seinen Tod falle.

Ulrici glaubt nun unser Drama gegen diese Angriffe schützen zu können, indem er es als Theil eines grössern Ganzen, als zweites Glied eines historischen Tragödien - Cyklus, einer Tetralogie, auffasst, deren Anfangsstück Coriolan und deren letzte Glieder Antonius und Cleopatra und Titus Andronikus seien. Für historische Dramen, wie die genannten, behauptet er, gelte in Beziehung auf organische Einheit der Composition ein anderes Gesetz, als für das

freipoetische, selbstständige Drama. In jenen müsse das Interesse nicht an den Personen, sondern an der Bedeutung des Geschehenden haften; die Geschichte kümmere sich in gewissem Sinne nicht um die Person, ihr Hauptinteresse sei das Factum oder vielmehr die darin sich kund gebende Idee. An einer wahren, organisch gegliederten Einheit eines solchen Interesses fehle es aber keineswegs im Julius Cäsar. Ein Gedanke spiegele sich in Cäsar's Falle, wie in Brutus und Cassius Untergange und in Antonius und Octavian's Siege, ja selbst in den Geschicken Portia's, Cato's, Cicero's u. s. w., und zwar der Gedanke: kein Mensch, und wäre er so gewaltig wie Cäsar und so edel wie Brutus, ist gross genug, um die Geschichte willkürlich am Gängelbande zu führen; nur wer dem Gange der Geschichte folgt, geht als Sieger aus dem Kampf der streitenden Kräfte hervor. In dieser das Kunstwerk zusammenhaltenden und organisirenden Grundidee sieht Ulrici einen genügenden Ersatz für die vermisste Einheit der Handlung und des Interesses an den Personen, wenn er gleich einräumt, dass die freie dramatische Dichtung, die das Interesse auf die Eine Person des Haupthelden und sein Streben concentrirt, in Gestalt und Composition vollendeter erscheine.

Gegen diese Art, das vorliegende Drama aufzufassen, habe ich mich schon im vorigen Jahrgange des Shakespeare - Jahrbuchs bei der Betrachtung des Coriolan aussprechen müssen. Eine dramatische Production, die mehrere neben- oder nacheinander sich abspinnende Handlungen, mehrere mit ihrem Streben einander ablösende Haupthelden nur durch das Band eines gemeinsamen Grundgedankens zusammenknüpft, kann ich unmöglich für ein einheitlich organisirtes Kunstwerk, für ein Drama halten. Lässt man aber auch die Frage nach der Berechtigung der Existenz solcher dramatischen Gebilde ganz auf sich beruhen, so muss Ulrici doch jedenfalls nach dem oben angedeuteten Geständniss selbst zugeben, dass wenn es gelingt, Shakespeare's Julius Casar als ein freipoetisches, selbstständiges, in jeder Beziehung einheitlich organisirtes, und nicht lediglich durch eine gemeinsame Grundidee zusammengehaltenes Kunstwerk darzuthun, dadurch eine von des Dichters Schöpfungen, die man in irriger Anschauung einer niedrigern Kunstgattung zugewiesen hat, in die höchste und vollendetste Gattung zurückversetzt und somit eine Pflicht der Gerechtigkeit gegen den Dichter geübt wird. Das ist es nun eben, was sich die vorliegende Abhandlung zur Aufgabe stellt, und es dürfte der Versuch einer gründlichen Lösung dieser Aufgabe auch nach den vielen eingehenden Betrachtungen,

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