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Nichts wäre leichter gewesen, nichts lag näher, nichts war schwerer zu vermeiden, als die elegische Klage in eine demagogische Anklage überzuleiten und die Leidenschaften der Zuschauer in sein Interesse zu ziehen. Hätte Shakespeare so gehandelt, so würden wir seine Absicht leichter verstehen; wir hätten aber eine grosse Dichtung und wahrscheinlich einen grossen Dichter weniger, denn einmal über die Grenzlinie des sittlich Schönen hinaus, hätte er wahrscheinlich den Rückweg nie gefunden.

Desshalb verfuhr er, gerade so wie mit der Gestalt des Hamlet, in der er den Träumer durch den erhabenen Inhalt der Träume adelte, gerade so mit der Welt, in der Hamlet zu Grunde geht. Wie er in jenen das Problem seines eigenen Herzens hineintrug, so in diese das Problem seiner eigenen Zeit und Umgebung, ja aller Zeiten und Weltlagen. Wir haben gesehen, welche Seiten er aus derselben hervorhebt und in fundamentalen, von der Wurzel aus die Natur des idealistischen Prinzen zerstörenden Gegensatz bringt. Wir sehen die inhaltlose Welt der Formen und des Scheines gegenüber der überströmenden Fülle des Geistigen und Sittlichen in Hamlet; das zerbröckelnde Zeitalter, das sich auf die Vergangenheit stützt, gegenüber den ewig jungen Ideen, denen alle Zukunft gehört. Wir sahen, wie die politischen und socialen Gegensätze von Claudio's Hof und Hamlet auf einen tieferen, den der Idee, zurück- und bis dicht an den der Religionen und Bekenntnisse herangeführt werden, so dass wir uns vor ein gewaltiges, aber aus den gegebenen Thatsachen unlösbares Problem gestellt fanden. Die Kunst und das feine Gefühl, womit dasselbe angedeutet, aber nicht ausgesprochen wird, bildet aber ebensowohl das Verdienst der Dichtung, als es seine Dunkelheit bedingt. Nicht eine Streitfrage wollte der Dichter in sein Parterre werfen, sondern eine Wahrheit ahnen lassen, die, wie alle Wahrheit, einmal angezündet, nie mehr verlöscht, sondern fortleuchtet, bis in ihrem Lichte eine neue Welt erwachsen und gross geworden ist, die, zur Reife gelangt, ihrer nicht mehr bedarf, sondern eine neue, höhere, gereinigte Wahrheit erzeugt, die jene mit umfassend in sich aufzehrt und verschlingt. Die Pflicht des Künstlers, Alles zu vermeiden, was aus dem harmonischen Zusammenwirken aller Elemente Licht und Schatten, Gut und Böse statt Schönheit Zwietracht, statt Wonne Erbitterung, statt Lust Unlust erwecken könnte, hat ihn auch hier genöthigt, für ein unkünstlerisches Geschlecht dunkel zu bleiben.

Vielleicht auch die Klugheit. Denn Shakespeare stand vor einem Publicum, das weder politisch noch kirchlich zur Abklärung

und Reife gelangt war. Das, englische Volk hatte sich schon in jene Heerlager getheilt, die, zum Untergang aller Kunst und Schönheit, gar bald zu den Waffen greifen und sich im Rathe wie auf dem Schlachtfeld bis zur blutigen Vernichtung befehden sollten. Für die Weisen unter ihnen war das Gedicht eine ahnungsvolle Mahnung; für die Blöden und Rohen wäre auch eine leidenschaftlichere Sprache, eine unverhülltere Malerei nicht ein Stern des Lichtes, sondern eine Fackel des Aufruhrs geworden. Ja, gehen wir noch einen Schritt weiter! Shakespeare war, neben dem Dichter, auch Schauspieler und Theaterbesitzer. Weder Conflicte im Publicum, noch mit demselben lagen in seinem Interesse.

Man hat aus dieser Dichtung Folgerungen auf das Religionsbekenntniss Shakespeare's ziehen wollen. Namentlich ist er offen und bestimmt als Protestant bezeichnet worden. Die Bejahung oder Verneinung dieser Ansicht auf dieser Grundlage hängt nur von der Stimmung der Erörternden ab. Vorausgesetzt, dass alle Parteien übereinstimmen, einen so eminenten Genius zu den Ihrigen zu zählen, wird auch das Urtheil danach ausfallen. Jene Verstimmten und Schwarzsehenden, die in Hamlet einen Schwächling, einen Kranken und Verkommenen erblicken, mögen immerhin seinen Zustand auf die Schule von Wittenberg schieben. Sie haben dann eine Anklage gegen den Protestantismus, von der wir nur Eines bedauern, nämlich dass sie mit der reinen, sittlich-künstlerischen Denkweise des Dichters, der überall versöhnen, nicht entzweien will, im Widerspruch steht. Andere mögen die Orthodoxie und den Katholicismus mit Charakter und der Handlungsweise Claudio's und der Seinen bindung setzen und also eine eben so wenig shakespearische ge des Papismus herauslesen. Wir haben oft genug gesagt, ses weder in der Natur, noch in dem Zweck des milden, Schein und Wahrheit überall mit tiefsinniger Klarheit unterscheidenden Dichters lag, eine solche Entscheidung zu treffen. Zudem wäre es für das protestantische Princip sehr betrübend, wenn Shakespeare seinen grundedeln und grundgescheidten Vertreter untergehen liesse; und für das katholische nicht minder, wenn es nichts Besseres als Claudios und Poloniusse erzeugt hätte und erzeugen könnte. Wir sehen es vielmehr als einen der höchsten Triumphe des modernen Geistes, als das höchste Lob unseres Dichters an, dass er an keiner Stelle seiner zahlreichen Werke sich anders als im Sinne der allgemeinen Religion geäussert, sich stets nur als Priester der Menschheitsideen gezeigt hat, gerade so wie er uns den Hamlet darstellt. In welchem Bekenntnisse Shakespeare geboren war, ist so gleich

giltig, als dieselbe Frage in Bezug auf Schiller oder Goethe sein würde. Seine Seele konnte nur Ruhe, Sättigung und Klarheit finden in der Religion, die alle Gegensätze der Bekenntnisse umfasst und ausgleicht. Wie seine Wirksamkeit, so war sein Glaube weltbürgerlich im höchsten Grade. Wenn er den Geist des alten Hamlet, der ungebeichtet starb, das furchtbare Gemälde des Fegefeuers entwerfen lässt, so lässt er dagegen Hamlet von den Träumen des ewigen Schlafs, der Furcht vor dem unbekannten Jenseit in einer Weise sprechen, die die positive Kirchenlehre Roms ebenso sehr in Frage stellt, als die unserer Consistorien; beide aber lassen sich sehr wohl als symbolische Bezeichnungen des Gewissens erklären. Dem zur Erkenntniss der höheren Wahrheit Durchgedrungenen sind aber alle niederen, vorausgängigen Wahrheiten ein Gegenstand zarter Rücksicht, stiller Achtung und frommer Scheu: für ihn ist Fanatismus die einzige Gottlosigkeit; und wir, wir halten es für eine Gottlosigkeit, aus seinen Werken auf seinen Glauben schliessen und ihm einen aufdringen zu wollen; ebenso wie das vielbeschrieene Heidenthum Schiller's eine Erfindung böswilliger Gemeinheit, und seine Rechtfertigung durch den Beweis, dass er im Grunde ein guter Christ und Lutheraner gewesen, eine mehr als kindliche Treuherzigkeit ist.

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Gerade dass Shakespeare über den Parteien stand, gerade dieses befähigte ihn, das Problem zu fassen und zu bearbeiten, aus welchem heraus er den Hamlet geschaffen und darin so wunderbar vertieft hat. Sittliche Form gegen sittlichen Inhalt, Lüge gegen Wahrheit, Schein gegen Wesen, Selbstbehauptung gegen Selbstverneinung, Materialismus gegen Idealismus so gruppirte und steigerte er sein Problem, und wir folgen ihm mit Bewunderung. Aber (und hier liegt der letzte und entscheidende Grund aller Dunkelheit) er hat es nicht abgeschlossen, so wie auch die Weltgeschichte den Kampf dieser Gegensätze nie abschliesst, sondern in ewig neuen Gestalten fortsetzt. Der Knoten wird nicht gelöst, sondern durchgehauen. Die in Hamlet kämpfenden Gegensätze vernichten einander ganz, und um nicht Tod und Oede allein das Schlachtfeld behaupten zu lassen, tritt mit Fortinbras eine ganz neue, gleichgiltige, unberührte, aber mächtige Naturkraft herrschend in die Scene, und Hamlet hat ihr sterbend noch seine Stimme gegeben. Gewiss will Shakespeare damit nicht sagen: die Feindschaft jener Gegensätze ist unlösbar und sie sind berufen, sich gegenseitig zu vernichten ein grausamer und dem Geiste der Muse fremder Spruch sondern er greift zu diesem Ende, weil eine äussere Nöthigung, die theatralische Wirkung,

ihn dazu zwingt. Nur Sophisterei kann eine sittliche Nothwendigkeit für Hamlet's Untergang herausfinden; hätte der Dichter in unseren Tagen gelebt, so wäre Hamlet der letzten Intrigue seines Oheims entgangen, und wir sähen ihn über den Leichen seiner Widersacher auf dem schuldlos gewonnenen Throne eine neue Aera des Rechts und der Wahrheit verheissen.

Wie sie aber dasteht, erscheint uns die Tragödie, um noch dies Eine Resultat auszusprechen, als eine Frage an das Schicksal. Es ist die erste Hälfte eines Hiobsgedichtes, eine ernste, feierliche Entgegensetzung von Gut und Böse in der Welt, aus der keines siegreich hervorgeht, ein wahres Räthsel ohne Antwort, das auch der Dichter gewollt, und je länger er darüber gesonnen, je bestimmter in diese Form und Weise gegossen hat. Er malte eine dunkle, unbegreifliche Seite des menschlichen Daseins, ein unheimliches Nachtstück, darein er Alles ausgoss, was nächtig war in seiner sonst so klaren Seele. Und darum wählte er auch jene düstern Farben, den nordischen Himmel, das einsame Meer, den weidenbewachsenen, trägen Bach, das sandige Grab. Darum ruft er die Geister der Todten wach; darum lässt er Wahnsinn wirklichen, verstellten und unbestimmbaren über die Bühne ziehen. Wo das Höchste, Heiligste unsicher, verrückt und aus der Bahn gelenkt ist, wo die Frage nach Gott und Gerechtigkeit ungehört und unbeantwortet verhallt da sammelt sich Alles, was dunkel, öd und frostig auf Leib und Seele hereinwirkt. Ueber den Gräueln der zerstörten Familie Lear's zuckt der Blitz, rast der rächende Donner; über der trüben Oede des versumpfenden Staates lagert hyperboräische Nacht mit feuchtem Grausen. Erst jenseit dieser Gräberstätten dämmert ein neues Morgenroth..

Jahrbuch V.

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Zu Titus Andronicus.

Von

Hermann Kurz.

In der Induction zu Bartholomew Fair, 1614, sagt Ben Jonson, wie bekannt: wer den Jeronimo, den Andronicus jetzt noch für die besten Schauspiele erkläre, der zeige ein Urtheil, das die letzten fünfundzwanzig bis dreissig Jahre stehen geblieben sei. 1) Sieht man diese Worte genau an, so besagen sie nicht mehr und nicht weniger, als dass Kyd's Spanische Tragödie (die unter dem Jeronimo gemeint ist) und Shakespeare's Andronicus in der Sturm- und Drangperiode des altenglischen Theaters den Reigen geführt, dass diese beiden Stücke zu ihrer Zeit ähnlich gewirkt haben, wie in der deutschen Sturm- und Drangzeit Goethe's Götz und Schiller's Räuber.

Die erstere Vergleichung (abgesehen davon, dass der Götz überhaupt nicht für die Bühne bestimmt war) wäre freilich sehr übel angebracht, wenn sie von der Wirkung auf das Wirkende zurückschliessen lassen wollte: aber so gerechten Spott auch Kyd's tolle Tragik von den mitlebenden, Poeten zu erleiden hatte, sein Stück war dennoch ein Zugstück ersten Ranges, das Ben Jonson selbst,

1),,He that will swear, Jeronimo, or Andronicus, are the best plays yet, shall pass unexcepted at here, as a man whose judgment shews it is constant, and hath stood still these five and twenty or thirty years. Though it be an ignorance, it is a virtuous and staid ignorance; and next to truth, a confirmed error does well; such a one the author knows where to find him."

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