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der noch immer, nach so vielen Wechselfällen, im Besite des meisten und besten Grundeigenthums ist, und der sich auf Naros schårfer, als auf irgend einer andern griechischen Insel, von der griechischen Bevölkerung scheidet. Der Grund davon ist nicht sowohl die Religion, denn auf Thera z. B. leben die Katholiken, ebenfalls begütert und von adeliger Abstammung, im besten Vernehmen mit den Griechen; die Religion muß auf Naxos nur als Vehikel dienen; der eigentliche Grund der Abneigung der griechischen Bauern gegen ihre katholischen Gutsherren ist das harte und starre Festhalten derselben an gewissen Feudalgebräuchen und Zwangspflichten. So waren die Bauern z. B. nach altem Brauche noch vor kurzem gendthigt, wenn die Herrschaft aufs Land zog, derselben in langem Zuge das mitgenommene Hausgeråthe nachzutragen, oder am katholischen Charfreitage der gnädigen Frau, wenn sie des Nachts in die Messe ging, vorzuleuchten u. dgl. m. Auch unter sich halten die Schloßbewohner nicht weniger auf ihren Rang und ihre Abstammung. Sie vergessen nie ihre Titel, die fegar in Diminutioform (ὁ βαρωνάκης unb ὁ βαρωνέττος) auf die Kinder übertragen werden; an jedem Hause ist das Wappen der Familie angebracht, und wenn die Besizer auch alle andern Papiere und Documente aus den Zeiten ihrer frühern Macht und Blüthe verloren haben, so bewahren sie doch sorgfältig ihre Stammbäume. Am häufigsten sieht man das Wappen der Crispi: ®)

et osculo pacis ac fidelitatis omnibus modo et urma (norma?) in numero et gradu aliorum nobilium et legiorum nostrorum assumimus et ordinavimus: ac legio titulo insigni corporaliter investimus. Concedens sibi suisque heredibus omnimodam libertatem sedendi in curia nostra Inferiori et Superiori juxta ordinem in tali gradu existencium, sicut ceteri nobiles nostri in ipsa dignitate constituti facere possunt, absque obstaculo aliquo sive impedimento, cum omnibus honoribus: dignitatibusque praeeminentibus spectantibus cuilibet personae legiae sub ducatu nostro commoranti. Mandantes omnibus subditis nostris Naxiae, Meli, Sancterini ac Sudae, quatenus hanc nostram intencionem observent, faciantque inviolabiliter observari. Dann folgt in italienischer Sprache die Belehnung des neuen Edelmannes mit einem Grundstücke auf Melos, und am Schlusse das Datum: Actum in nostro ducali palatio castri inferioris Naxiae. Currentibus annis dominicae nativitatis Millesimo quingentesimo vigesimo tertio, die paenultimo mensis Januarii.

62 Nach den Stammbäumen dieser ehemals herzoglichen Familie stammt

zwei aufrechtstehende Schwerter zwischen drei Rauten. Hier resiz dirt auch ein katholischer Erzbischof, dessen Siz der Papst im Jahr 1520 von Rhodos, nach der Eroberung dieser Insel durch die Türken, nach Naros verlegte und mit den damaligen Gütern des Johanniter-Ordens in dieser Insel dotirte; doch belaufen sich die Einkünfte des. Bisthums heutigen Tages kaum auf etliche hundert Thaler. Der jezige Erzbischof ist ein Eingeborner von Chios, und trågt als solcher, nach griechischer Landessitte, einen Schnurrbart. Die Seelenzahl der katholischen Gemeinde auf Naros beträgt nicht über dreihundert; die bedeutendsten Familien find die de la Roche oder della Rocca, die Vigoureur de Lasticq, die Frankopulos, die Barozzi, Grimaldi u. s. w. Seit dem Jahre 1626 haben die Jesuiten, jeht unter dem Namen der Lazaristen, und seit 1635 die Capuciner hier ein Kloster.9)

Den gestrigen Sonntag brachten wir ruhig in der Stadt und im Kloster zu, mit Schreiben, Lesen und Besuchen beschäftigt. Bei Tisch erzählte uns Vater Angelo die Veranlassung, weßhalb er in den geistlichen Stand getreten, welche lustig genug lautet. Nach dem ersten Sturze Napoleons hatte sich auch Angelo in seine Heimath im Florentinischen zurückgezogen. Als auf die Nachricht von der Landung des Kaisers in Frankreich im Jahre 1815 ganz Europa sich zum Kriege rüstete, wurde Angelo vor die Ortsobrigkeit gerufen, um sich unter die großherzoglichen Truppen aufnehmen zu lassen. Allein mit einem kräftigen Fluche erwiederte er auf diese Zumuthung, lieber möge seine Hand verdorren, als daß er die Waffen gegen seinen Kaiser trage und den kleinen Fürsten diene, welche Italien aufs neue zerstückelt

sie aus Aquila im Königreich Neapel. Ein Zweig der Crispis blühte im vorigen Jahrhundert als Grafen von Reggio.

9) Diese Nachrichten sind zum Theil entlehnt aus einer mit großem Fleiße zusammengetragenen handschriftlichen Beschreibung von Naros in französischer Sprache, welche ein deutscher Jesuit, der Pater Ignatius Lichtle, zu Ende des vorigen Jahrhunderts abgefaßt hat, und von welcher sich hier im Kloster eine Abschrift findet. Doch klagt schon Lichtle, daß er weder alte Urkunden, noch die gedruckte histoire des Ducs de Naxie vom Pater Robert Sauger auftreiben konnte, weßhalb seine historischen Notizen ziemlich dürftig sind. (Der Pater Lichtle wird auch von Pasch di Krienen a. a. D. F. 79 erwähnt.)

håtten. Die erzürnte Magistratsperson drohte mit Gefängniß; Angelo, seiner unbesonnenen Rede schnell inne werdend, entschlüpfte unter einem Vorwande aus der Gerichtsstube, lief spornstreichs in das nächste Capucinerkloster und ließ sich als Mönch aufnehmen. Nach einiger Zeit erschien er wieder, durch die hårene Kutte gegen die Verfolgung des weltlichen Armes geschüßt.

Heute Vormittag haben wir die kleine Klippe vor dem Hafen besucht, auf der von einem alten Tempel nur noch die Thürpfosten mit ihrer Oberschwelle erhalten sind. 1o) Der nicht unbedeutende Umfang der Cella läßt sich noch an den tiefen Gråben erkennen, aus denen zerstörende Hånde schon vor Jahrhunderten die Quadern des Grundbaues herausgewühlt haben. Die Tradition bezeichnet diese Ruine als einen Tempel des Dionysos; wie sie auch einen Brunnen bei der Stadt den Brunnen der Ariadne nennt.") Von dem alten Hafen zwischen der Klippe und der Stadt sind die antiken Dåmme noch großentheils erhalten. Hierauf machten wir zu Fuß eine Excursion nach dem Vorgebirge des heil. Procopius, am Eingange des Canals von Paros, und von da durch die Ebene zurück nach der Stadt. Am Strande hat sich Flugsand gebildet, doch bis jezt in geringer Breite. Die Ebene aber, von ungefähr anderthalb Stunden im Durchmesser, ist überaus reich und bringt Früchte jeder Art in Menge hervor, so daß sie den Ausdruck des Herodotos rechtfertigt, welcher Naros die seligste der Inseln nennt, 2) so wie sie nach Eubda im ågåischen Meere die größte ist. Nur fehlt diesem schönen und gesegneten Lande die nöthige Cultur; die ganze Bevölkerung von Naxos beläuft sich, nach officiellen Zählungen, noch nicht auf 11,000 Seelen, während sie im Alterthum wenigstens 100,000 be

10) Abgebildet bei Tournefort, 1 Thl., S. 338 der deutschen Uebers. Bondelmonte scheint noch in der Nähe der Stadt eine Statue des Bacchus gesehen zu haben, Liber insularum, c. 37. p. 96: Baccho dedicata fuit (Naxos), qui sculptus prope oppidum, puer, facie muliebri, nudo pectore, capite cornuto, vitibus coronato et in tigribus equitando. 11) Diese Benennung des Brunnens kennt auch schon Bondelmont a. a. D.

12) Herodot. 5, 28 Nážos tvdaμoviy twv vhowy nooéqege. Vergl. Diodor, 5, 52.

tragen haben muß.") Das gehässige Verhältniß der Gutsherren und der Bauern, wodurch viele der letztern, wie mir die erstern selbst klagten, zur Auswanderung bewogen werden, ist zum großen Theile Schuld an dieser schwachen Bevölkerung. Leider sehen die Grundbesitzer die wahre Ursache nicht ein, oder wollen sie nicht einsehen; sie klagten über die Trägheit und Selbstsucht der Bauern, welche es vorzögen, in Kleinasien wenig zu arbeiten und gut zu leben, statt in ihrem Vaterlande zu bleiben, und sie meinten, die Regierung müsse hiergegen Zwangsmittel ergreifen.

Ich schließe, weil Vater Angelo zu Tische ruft; morgen treten wir die Umreise der Insel an.

15) Herodot. 5, 30 läßt den Aristagoras sagen, die Narier haben 8000 Schilde oder Hopliten vnd viele lange Schiffe: пvvdávoμai öxtακισχιλίην ἀσπίδα Ναξίοισι εἶναι, καὶ πλοῖα μακρά πολλά. 2dt= tausend waffenfähige Bürger ergeben, die Familie zu fünf Seelen gerechnet, eine Bevölkerung von 40,000 Freigebornen. Es wird nicht zu viel seyn, wenn wir noch 10,000 Freigeborne, oder 2000 waffenfähige Bürger für die Bemannung der vielen Kriegsschiffe und für die zu Hause Bleibenden annehmen. Wenn wir aber auf diese Bevölkerung von 50,000 Freien noch eben so viele Sklaven (Männer, Weiber und Kinder) rechnen, so ist das Verhältniß eher zu niedrig als zu hoch angeschlagen. Und daß die Zahl der Sklaven nicht klein mar, fagt Gerodotos ebenbaf. 31 : χρήματα ἔνι πολλὰ καὶ ἀνδράποδα. Es konnte nicht ausbleiben, daß eine so mächtige Insel nach der Herrschaft im ågåischen Meere strebte, und eine Nebenbuhlerin Athens zu werden drohte. Daher ergriffen die Athender schon früh (OI. 78, 3. — 466 v. Chr.) eine Gelegenheit, die Macht von Naros zu brechen und Kleruchen aus ihren Bürgern hinüber zu führen. Thuk. 1, 98. Pausan. 1, 27, 6. Platon Euthyphr. S. 4. Seitdem mag die Insel sich nie wieder zu der alten Blüthe erhoben haben; und jedenfalls ist es eine lächerliche Uebertreibung, wenn Graf Krienen a. a. D. S. 61 nach den mündlichen Ueberlieferungen des Narischen Adels angibt, daß die Insel unter den Herzogen 40,000 waffenfähige Männer nicht etwa bloß gezählt, sondern sogar gerüstet unterhalten habe.

Beilage zum dritten Brief.

Ruinen und Alterthümer auf Delos und Rhenäa.

Κείνη δ' ηνεμόεσσα καὶ ἄτροπος, οἷά θ ̓ ἁλιπλιξ,
Αιθυίῃς καὶ μᾶλλον ἐπίδρομος ἠέπερ ἵπποις,
Πόντῳ ἐνεστήρικταὶ· ὁ δ ̓ ἀμφί ἑ πουλὺς ἑλίσσων,
Ικαρίου πολλὴν ἀπομάσσεται ὕδατος ἄχνην.

Kallim. Hymne auf Delos, 11.

Die zahlreichen und ausgedehnten Ruinen der heiligen Delos finden sich durch die vor der Ankunft des Königs seit långer als einem Jahrtausend geübte Unfitte der Bewohner der benachbarten Inseln, namentlich von Mykonos, Syros und Tenos, hier ihr Baumaterial zu holen und zu ihren Bauten den nöthigen Kalk zu bereiten, so wie durch den Frevel raubgieriger Lords und anderer Reisender,) in einem traurigen Zustande gewaltsamer Zerstörung. Von dem großen Apollontempel, von der Stoa des Philipp, vom Theater und den mancherlei andern Gebäuden aus weißem Marmor, findet man kaum ein Capitell oder Säulenstück, einen Architrav oder eine Stufe, von der nicht ein Kalkbrenner oder Maurermeister mit der schweren Steinart (sagɛĩa), diesem fürchterlichen Feinde der Alterthümer in Griechenland, eine Ecke abgeschlagen, um Mörtel oder einen Baustein daraus zu machen. Schlimmer noch, weil sie leichter zu zerstören waren, ist es den Privathäusern ergangen, von denen ohne solche Barbarei hier noch ganze Stadtviertel aufrecht stehen würden. Jetzt sind ihre Mauern meistens nur in einer Höhe von zwei bis drei Schuh erhalten; der obere Theil derselben ist abgebrochen, die besten Steine, namentlich die Ecksteine, find herausgelesen, und die übrigen bilden, mit dem aufgelösten Mörtel vermischt, große Schutthaufen, welche die Ruinen bedecken. Unter diesem Schutte ist gewiß noch mancher Mosaikboden versteckt, und von vielen der alten Wohnhäuser möchte noch ein vollständiger Grundriß zu erhalten seyn; aber die Heftigkeit des Sturmes hatte uns nicht allein verhindert, nach Mykonos

1) Ueber Ausgrabungen auf Delos und den Zustand der Insel im Jahre 1829 vergl. eine lettre (ohne Name des Verf.) im Bullet. dell' instit. archeol. 1830, Nr. I, p. 9—11.

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