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Siebenter Brief.

Thera.

Καλλίστη τὸ πάροιθε, τὸ δ ̓ ὕστερον οὔνομα Θήρη,
Μήτηρ ενίππου πατρίδος ἡμετέρης.

Kallimachos von Kyrene..

Thera, 12 September (31 August).

Herr von P. entschloß sich, da der widrige Nordwind ihm nicht abzureisen gestattete, mit uns auf die Insel zurückzukehren. Wir stiegen am folgenden Morgen zu Pferde, und ritten auf guten Wegen in anderthalb Stunden nach Pyrgos, welches fast südlich von Phirà und recht in der Mitte der Insel liegt. Pyrgos ist ein ansehnlicher Flecken oder zaorέllı, wie man hier die größern Ortschaften nennt, weil sie bis vor einem Menschenalter, der gefürchteten Seeräuber wegen, mit einer schwachen Ringmauer umgeben, oder wenigstens, durch Aneinanderbauen der Außenseiten der Häuser, zu einer Art Festung verbunden zu feyn pflegten. Als ehemaliger Hauptort der Insel ist Pyrgos noch die Residenz des griechischen Bischofs (deonóτys);1) der katholische (8 Movotyvidons) residirt in Phirà, hat aber auch hier in der Nähe ein Landhaus. Hinter Pyrgos, im südöstlichen Theile der Insel, erhebt sich der heil. Elias, ein mächtiger, aus Kalkfels und blauem Marmor bestehender und etwa 1800 Fuß hoher Berg, von welchem ostwärts das Vorgebirge des heil. Stephanos, südwårts das Vorgebirge Eromytis ausgehen. Dieß Kalkgebirge, dessen Wurzeln sich unter dem flachen dftlichen Ufer der Insel hinziehen, und das an der Mitte der Ostküste noch einmal in einer kleinen isolirten Klippe, dem sogenannten Monolithos, zu Tage austritt, bildet gleichsam den Anker, an welchen das Product des Vulkans sich angehängt hat. Wir ritten jezt

1) Despot (Monseigneur, Mylord) ist der Titel der griechischen Bischöfe, welcher ehedem im byzantinischen Reiche den Prinzen von Geblüt beigelegt wurde, und den jene sich seit dem Untergange des Reiches angeeignet haben.

den Rücken des Berges hinan nach dem Kloster des Propheten Elias, das auf seinem Gipfel liegt und eine weite Aussicht über das Meer und die Inseln hat; da es eben sehr helles Wetter war, erkannten wir deutlich die langgestreckte Kreta, die von der Natur vorgezeichnete Südgrånze des hellenischen Reiches, mit den weißen Bergen, dem Ida und dem Dikte; gegen Osten sahen wir die Küsten Kleinasiens, und gegen Norden das bunte Gewimmel der Kykladen.

Vom Kloster klommen wir über jåhe Abhänge auf das MessaBunò hinunter, eine Art Isthmos, der seinen Namen (d. h. Zwischenberg) daher führt, weil er den Eliasberg mit dem nur wenig niedrigern Vorgebirge des heil. Stephan verbindet. Mit schroffen, völlig unzugänglichen Wänden fällt dieses auf drei Seiten in die See ab, und trägt auf seinem Rücken die Ruinen der alten Stadt Dea.) Ein einziger schmaler Pfad, den ein beladenes Saumthier nur mit Mühe hinanklimmt, führt von der Landseite über das Mesa - Vunò auf den Berg. Die verfallene Kirche des heil. Stephan, von der er seinen Namen hat, liegt gleich links. Sie ist größtentheils aus alten Quadern von eins heimischem blauem Marmor erbaut. Von einer alten christlichen Inschrift, in Schriftzügen, die nicht jünger als das vierte oder fünfte Jahrhundert, vielleicht aber schon aus dem zweiten oder dritten seyn dürften, konnte ich nur den Anfang entziffern: Αγιε καὶ φοβερὲ Μιχαὴλ ἀρχάγγελε, βοήθει τῷ δούλῳ σου Qoíuq xai.... Von hier an ist der Rücken des Berges bis an sein anderes Ende mit Trümmerhaufen und Ruinen gleichsam übersået, unter welchen sich einige Reste von polygonischem Mauerwerk auszeichnen. Eines dieser Mauerstücke wie es scheint der Unterbau eines öffentlichen Gebäudes zeigt wieder den dfter bemerkten schroffen Uebergang von polygonischer zu völlig rechtwinklichter Construction, in einer Weise, welche gar keinem Zweifel Raum låßt, daß derselbe Baumeister hier in einem und demselben Monument beide Constructionsarten gleichzeitig anwandte. Es ist aus so gewaltigen Felsstücken erbaut, daß es noch Jahrtausenden trohen wird, wenn die Hand des Menschen es verschont. Noch ehe wir zu dieser Ruine gelangten, machten uns unsere Beglei

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2) Ptolem. 3, 15.

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ter aus der Stadt auf einige in den Felsen gehauene Stufen aufmerksam, auf denen wir zwei metrische Inschriften eingegraben fanden, wonach hier ein Bild der Hekate und ein Priapos errichtet waren vermuthlich auf oder neben der obersten Stufe. 3) Müde und hungrig von dem Ritte und dem mühseligen Bergsteigen, eilten wir von hier zunächst nach dem einzigen

3) Die Inschriften finden sich schon (unter Nr. 109) bei Böckh a. a. D. Cap. 12, S. 60. Die erste lautet nach meiner etwas vollständigern Abschrift, und übrigens mit Böckh's Ergänzungen, so:

[Ε]ΐσατ[ο] τήν δ' Εκάτην πολυώνυμον ̓Αρτεμίδωρος,
φωσφόρον, ἣν τιμῶσιν ὅσοι χώραν κατέχουσιν·
μνημόσυνον Θήρας πόλεως παριοῦ[σ]ιν ἔτευ[ξ]εν
βάτθρα τάδε, στῆσέν τε μέλαν λίθον '4[ρ]τεμίδωρος.

In der Lesung BATOPA (also párdọa) stimmen beide Abschriften überein. Der anomale Accusativ μélav findet sich auch in dem Namen des sicilischen Flusses Melas bei Ovid. Fasten 4. 475:

Himeraque et Didymen Acragantaque Tauromenonque

Sacrorumque Melan pascua laeta boûm.

Das jambische Epigramm auf den Priapos ist mehr verstümmelt, und eine ganz sichere Herstellung desselben ohne neue Besichtigung des Steines nicht zu erzielen. Uebrigens beweist der Ausdruck Ongas nólews durchaus nicht, daß die hier liegende Stadt Thera und nicht Dea geheißen. Vielmehr bezeichnet nodes hier nur den politischen Verein, die bürgerliche Gesammtheit der Theråer, welche in den darunterstehenden Jamben auf den Priapos Ongalov nólis, und in einer andern Steinschrift zò zowòv (1wv Oŋgaiwv) genannt zu werden scheint. So nennt Euripides im Jon 307 ganz Eubda eine nólis, und V. 1583 (1603 Herm.) sagt er von den Nachkommen des Jon: Κυκλάδας ἐποικήσουσι νησαίας πόλεις. Sergl. Sarpoftat. u. δ. 22. Keio und Strabon 8, S. 175 Tchn. Mithin kann jene Inschrift nicht die Beweiskraft einer andern, hart am Fuße des Berges bei Kamari in der Kirche des heil. Nikolaos gefundenen vernichten, auf die ich den Namen Dea begründe, und die ich in meiner Abhandlung über Anaphe (in den Abh. der Münchener Akad. I Cl. II Thl. II Abthl. S. 409) herausgegeben habe. Sie lautet: Tov pýroga lov IZLOV Σάτυρον Ὤλου Πλωτίου Λεωνίδου Ασιάρχου ὑιὸν, Ὤλου Πλωτίου Θεο[δότου] Βοιωτάρχου ἀδελφὸν οἱ μετέχοντες τοῦ ἱεροῦ συνεδρίου τῆς ἐν Οις παλαίστρας τὸν ἐκ προγόνων ἐυεργέτην τῆς πατρίδος. Uebrigens beruht Dea als Name einer Stadt auf Thera nur auf Ptolemãos. Die Lage der Ruinen aber entspricht ganz der eigent lichen Bedeutung dieses Namens. Vergl. Harpokrat. u. Suidas u. d. W. Olov, und über Ptolemãos Angaben unten Anm. 17.

neuern und einigermaßen wohnlichen Gebäude, das heutzutage in der wüsten Dea besteht, um dort einer kurzen Raft zu pflegen. Dieß Gebäude ist ein Metochi (uɛróxiov) oder Maierhof des Klosters des heil. Elias, welches, aus einem kleinen Wirth: schaftsgebäude nebst einer Capelle bestehend und aus antiken Marmorquadern auf den Fundamenten eines großen, alten Gebäudes erbaut, an der Ostseite des Berges nicht weit unter dem Gipfel liegt, mit weiter Aussicht auf das gegenüberliegende Anaphe und die fernern türkischen Inseln. Vor der Hofthüre sieht man noch Reste eines achteckigen Unterbaues, der sich auf mehrern Stufen erhob, vielleicht um eine Statue zu tragen. Um das Metochi herum hat der übrigens nackte Fels in einigen Schluchten eine Decke von Asche und Bimsstein, worin Reben und Feigenbaume wachsen. Da in dem Wohnhause kaum für die Bedienten Platz war, so quartierten wir uns zu Fünfen in der Capelle ein, wo wir im Schuße der an die Wand gemalten Heiligen vier Nächte auf dem Marmorboden und auf den mitgebrachten Teppichen und Månteln vortrefflich geschlafen haben. Der Maier des Klosters, Marinos, der hier gewöhnlich ganz allein lebt, und dem unsere Gesellschaft in mehr als einer Beziehung erwünscht war, that alles, was in seinen Kräften war, um uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Nur war eben nicht viel in seinen Kräften.

Am Nachmittag seßten wir unsere Wanderung durch die Trümmer der Stadt fort. An mehrern Stellen, namentlich an der äußersten Südost-Ecke des Berges, fanden wir einige noch kenntliche Ruinen antiker Wohnhäuser, die, wie auf Delos, meistens klein, und gewöhnlich über Cisternen erbaut waren, welche man mit langen, durch gewölbte Bogen gestützten Steinbalken überdeckte. Die Mauern waren, wo sie nicht unmittelbar durch eine behauene Felswand gebildet wurden, aus Bruchsteinen mittlerer Größe in Kalkmörtel aufgemauert, und auf der innern Seite mit einem sehr dauerhaften, sorgfältig glatt geschliffenen und gewöhnlich bemalten Stukk bekleidet. ")

4) Grundriß und Wandmalerei eins solchen Häuschens sind bei der in der vorhergehenden Anm. angeführten Abhandlung über Anaphe auf Taf. III gegeben worden.

Hinter diesen Häusern, auf der Südost-Ecke des Bergrückens, sieht man noch Spuren der Stadtmauer, die hier in einem spißigen Winkel in einen Thurm auslief, und sich dann westlich wandte. Außerhalb der Mauer zeigte uns Herr v. P., der bes reits vor einigen Tagen diesen Punkt besucht hatte, verschiedene Inschriften auf dem lebenden Felsen; und bald entdeckten wir, wetteifernd suchend, ihrer noch eine große Zahl. Sie bestehen aus bloßen Eigennamen, in den Schriftzügen der verschiedensten Zeitalter, von den frühesten Jahrhunderten bis in die Kaiserzeis ten herab. Gråber sind hier nicht vorhanden; daher ihr Zweck und ihre Bestimmung uns råthselhaft blieben. Zum Theil wiederholt sich derselbe Name mit dem nåmlichen Patronymikon und in Schriftzügen einer und derselben Epoche unzähligemale, so daß man nicht zweifeln kann, daß auch die Person eine und dieselbe war. 60 3. 2. Θήρων Φιλοκράτους. lud bie Stamen Αρίστων und Oxoxgioios finden sich sehr häufig. Die åltern und åltesten dieser Inschriften, zum Theil in kolossalen, einen bis zwei Fuß hohen Buchstaben, finden sich weiter hinunter an dem Felsen und mehr vereinzelt; bei ihnen möchten allerdings Gråber angebracht gewesen seyn. Jene spåtern aber und der römischen Zeit angehörigen stehen namentlich an einer Stelle so dicht gedrängt und verwirrt durch und über einander geschrieben, daß man nur eine müßige Tändelei darin sehen kann, wenn man nicht etwa an Liebhaber denken will, welche die Namen ihrer Geliebten hier zu verewigen bemüht waren.) Das Entziffern und Abschreiben

5) Ueber diese Inschriften ist die angeführte Abhandlung von Böckh zu vergleichen, namentlich Cap. 3, S. 10 und Cap. 10, S. 48. Die Ansicht, daß sie Votivinschriften seyen, und zu einer weiter westwärts gelegenen Höhle, in welcher ein tänarisches Poseidonsheiligthum vermuthet wird, in Beziehung stehen, kann ich nicht theilen. Die Vermuthung über die Bestimmung der Höhle ist allerdings sehr zusagend, und sowohl den Oertlichkeiten als der Sitte der Uebertragung von Localculten in die Pflanzstädte entsprechend; aber die bezeichneten Inschriften sind räumlich zu weit von der Höhle entfernt, und es würde sich in ihnen doch wohl irgend ein Wörtchen finden, welches eine Be ziehung auf den tånarischen Gott andeutete.

6) Solch muthwilliges Gekrißel an Mauern und Wänden war nichts Seltenes. Aristoph. Wesp. 97. Lukian. Hetårengespr. 4, 2. Ueberdieß findet sich auch an einer Stelle dem Namen eines Pheidippidas von

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