Page images
PDF
EPUB

Die dialektischen Eigenthümlichkeiten sind auf Ikaria auch nicht so groß, wie sie anderer Orten ausgegeben worden, wo man uns erzählt hatte, daß die Ikarier fast unverändert altgriechisch redeten. Doch bemerkte ich schon in diesen 24 Stunden manche Worte, die anderswo nicht im Gebrauche des Volkes finb, 3. 3. εὐδία, ῥύμη, ρυάκι(ον), τρυγία (ftatt be ges wöhnligen τζίπουρα), δεξαμενή u. f. W.; ferner ἡ ἐμποριὰ in der Bedeutung von Eingang, Thür (anderswo iußaσiá); ¿μñoQεvoμaι (dialektisch mit eingeschobenem G-Laut 12) ¿uñoоεúyouai), ich gehe hinein, und anderes Aehnliches. Es dürfte sich also hier bei längerem Aufenthalt aus dem Munde des Volkes, besonders der Frauen, die überall den Localdialekt am reinsten festhalten, ein hübsches Idiotikon ikarischer Hellenismen sammeln lassen. Das temporale Augment statt des syllabischen (μadɛ, "xɑpe u. s. w.) findet sich auch hier.

Gestern Abends nach Sonnenuntergang gingen wir unter Segel. Der Wind fiel heftig von den Bergen herunter und entfernte uns schnell ein paar Seemeilen von der Küste. Aber dann erhielten wir während des größten Theils der Nacht eine sehr unangenehme praktische Erklärung von dem, was die Icarii fluctus bei Horaz eigentlich bedeuten. Durch die Gewalt, mit welcher der Wind sich von den Berggipfeln auf das Meer zunächst an der Küste stürzt, bricht er seine Kraft und hört weiter hinaus auf eine Strecke von drei, vier und mehren Seemeilen Breite ganz auf: während die Aufregung, in welche die rechts und links an der Insel ungehindert sich fortsegende Windströmung das Meer seßt, sich auch dieser von keinem Winde be= herrschten Fläche mittheilt, so daß ein sehr starker Wellentanz entsteht, den der neugriechische Schiffer, mit einem wahrscheinlich italiänischen Worte, Karanti (naqavτi) nennt. Auf diesen empörten Wellen wird dann das Schiff mit schlaffen Segeln

12) Diese Einschiebung eines Gamma findet sich in der Volksmundart febr häufig. Go καίγω ftatt καίω, κλαίγω ftatt κλαίω, κλαδεύγω ftatt κλαδεύω, ἀκούγω ftatt ἀκούω ut. f. 1. Daf fie aber nit eine Deuerung, sondern altpelasgisch ist, bezeugen manche Wortformen der la= teinischen Sprache. So ist aus onɛięw (konάgyv) im Lateinischen spargo geworden; aus teigm (régw) tergo oder tergeo; aus ő20; (ʊv20;) vulgus u. f. w.

willenlos hin und her geschaukelt, bis endlich die Strömung oder die Kraft seiner Ruder es bis an die Gränze dieses ungeregelten Fluthentanzes bringt, wo es den Wind wieder findet. Die ähnliche Erscheinung wiederholt sich natürlich überall, wo eine hohe und steile Küste den Wind auffängt, aber nirgends so häufig und auf eine so weite Strecke, als unter der Südseite von Jkaria; was sich aus der ansehnlichen Höhe und Länge dieser Insel und ihrer Lage mitten in dem Strome des Nordwindes erklärt, der im ägäischen Meere während der Sommermonate vorherrscht. Daher ist die See um Ikaria noch heute bei den griechischen Schiffern verrufen, und Horaz konnte keine passendere Gegend des Meeres nennen, um seine Zeitgenossen an die Mühen und Beschwerden der Schifffahrt zu erinnern; nur seht der Dichter statt des sommerlichen Boreas einen tüchtigen Wintersturm aus Süden voraus (luctantem Icariis fluctibus Africum), wo denn die gleiche turbulente Bewegung des Meeres auf der Nordseite von Ikaria stattfindet. Vielleicht hatte er auf seinen Reisen diese Erfahrung selbst gemacht, wie wir sie jezt auf der Südseite machten. Bis zwei Stunden vor Tagesanbruch wurden wir so auf die unbehaglichste Weise umhergeschaukelt: dann kamen wir endlich wieder in den Bereich des Windes und flogen nun schnell gen Westen. Mit Sonnenaufgang hatten wir die melantischen Klippen, ) die jegt Stapodia ('o τà лódiα) genannt werden, auf eine Meile Entfernung zu unserer Linken unter dem Winde, und schon kurz nach acht Uhr ankerten wir hier in einem wüsten Hafen auf der Südseite der Stadt, welcher Orneòs ") heißt und wo häufig Schiffe

13) Πειρα, Μελάντειοι. Es freut mich, hier einen bereits von Hrn. Dr. Kiepert, auf dem Umschlage der ersten Lieferung seines Atlas von Hellas, gerügten Irrthum zu berichtigen, durch welchen ich (Th. I, S. 80) die Klippen Christianà füdlich von Thera als die melantischen bezeichnet hatte. Skylar Peripl. S. 55. Iriartescher Peripl. §. 252. 270.

11) '0 'Ogreo's, d. i. 'Egiɛòs (der wilde Feigenbaum), ist nicht etwa eine neugriechische Sprachverderberei, sondern die eigentliche allgemeine hellenische Form, dem weitverbreiteten äolischen Sprachstamme angehörig, von dem die attische Schriftsprache, die wir in den Schulen als die allgemein gültige betrachten lernen, nur eine sehr partielle Ausnahme ist. Orneä hieß schon im Alterthume ein argivischer Ort

überwintern, weil er namentlich gegen nördliche Stürme mehr Sicherheit gewährt, als der eigentliche Hafen von Mykonos, an welchem die Stadt liegt.

Wir zogen hier sogleich die gelbe Quarantäneflagge auf, worauf ein Hafenwächter erschien, um nach unserm Begehren zu fragen. Durch ihn haben wir uns einen Guardian bestellt, der noch heute Abend an Bord kommt, so daß unsere neuntägige Quarantäne schon mit dem heutigen Tage beginnt.

Sechsundzwanzigster Brief.

Delos.

Rhenäa. Gyaros. Belbina.

--

Αστερίη θυόεσσα, σὲ μὲν περί τ' ἀμφί τε νῆσοι
Κύκλον ἐποιήσαντο καὶ ὡς χορὸν ἀμφεβάλοντο.
Kallim. H. auf Del. 300.

Piraeus, den 5 Sept. (24 August) 1841.

Auf den Sturm, der uns nach Mykonos geführt hatte, folgte am 30 August fast völlige Windstille, und wir gebrauchten fünf Stunden, ehe wir die Nordspige von Delos umschiffen und in dem Canale zwischen Delos und Rhenäa unter dem Eilande der Hekate ankern konnten. Wir gingen sogleich mit dem Guardian und einem Matrosen ans Land und schlugen den Weg über das Theater nach dem Kynthos ein. Das wohlerhaltene, auf der Rückseite mit starken Quadermauern gestüßte Halbrund des Theaters bildet bedeutend mehr als einen halben Kreis; unter dem Scenengebäude war eine große Cisterne, wie bei dem Theater in Samos. Von dort kamen wir an das sogenannte riesige Thor am Abhange des Kynthos, welches nicht, wie ich selbst früher gemeint, das Portal eines heiligen Peribolos,

(Reisen im Peloponnes I, S. 135), und Orneos ist heute ein in Griechenland sehr häufiger Ortsname.

oder wie Leake gemeint hat, 1) der Eingang zu einem Thesauros gewesen seyn kann, weil gleich hinter demselben der gewachsene Fels ist; vielmehr war diese hintere Oeffnung, durch die man jezt nur gebückt durchgehen kann, ursprünglich gewiß geschlossen. Da vor diesem scheinbaren Thore eine kleine geebnete Fläche ist, welche noch alte Fundamente einfassen, so möchte ich lieber vermuthen, daß hier ein Gebäude gestanden, von dem jene Felsenkammer nur ein Anhängsel bildete, etwa als ein Grabgewölbe oder ein Adyton.

Die erste und vornehmste heilige Treppe führte hinterwärts dieses Bauwerkes von Nordwesten oder vom Hafen her in schräger Richtung auf den Kynthos. Auf dem Gipfel des Berges finden sich zerstreute Reste eines Tempels jonischer Ordnung, mit ungestreiften Säulen; und aus diesen Trümmern und aus Granitquadern war hier im Mittelalter, wie es scheint, eine Festung erbaut worden, deren Ringmauern die Plateform des Kynthos einschlossen. Vielleicht war dieß die Burg der Johanniterritter, deren Nikephoros Gregoras Erwähnung thut, und deren Reste von einem französischen Reisenden auf Rhenäa vergebens gesucht worden sind. Südwärts von der Spige wurde auf dem Rücken des Berges im Alterthum auch Granit gebrochen; man sieht noch an einigen großen Blöcken die Löcher eingezapft, in welche Keile getrieben werden sollten, um sie zu spalten: als die plögliche Verwüstung des Eilandes eintrat und solcher Betriebsamkeit hier ein Ende machte.

Vom Kynthos stiegen wir über die Reste der zweiten Treppe nordwärts hinunter, und wanderten nach den schon früher beschriebenen Ruinen des Gymnasiums 3) und nach dem dahinter gelegenen Stadion mit Einer Seite, dessen Länge wir 195 große Schritte, also fast eben so viele Meter oder etwa 600 Fuß fanden. Indeß läßt der Anfangspunct sich nicht so genau bestimmen, daß es nicht noch einige Meter länger gewesen seyn könnte. Dann wandten wir uns gegen die Westseite des Eilandes zurück, gingen durch den jezt ganz trockenen heiligen Teich, und

1) Leake, Northern Greece III, p. 101.

2) Nifeph. Gregor.

3) Vgl. Th. I. S. 33.

suchten die Ruinen des Apollontempels und der angränzenden Denkmäler auf. Die große Basis des Koloffes des Apollon ist noch am Plage, aber die erste Hälfte der vordern Inschrift: NAZIOIAП О ▲ ▲ 2 Ñ I, ist fast ganz abgebrochen. Die hintere und wichtigere Inschrift ) scheint noch ganz vorhanden zu seyn, ist aber jezt mit Erde bedeckt und dermaßen mit Gestrüpp überwachsen, daß wir sie mit unsern bloßen Händen und Stöcken nicht bloß zu legen vermochten. Nicht ohne Besorgniß sah ich mich nach den Resten des Kolosses des Apollon um; aber ich fand sie noch in derselben Lage und demselben Zustande, wie vor sechs Jahren. Und doch ist schon wieder manche Gefahr an ihnen vorübergegangen. Nicht allein erzählten Capitän Georg und seine Matrosen, daß sie erst vor acht Wochen auf einer andern Reise Augenzeugen gewesen, wie Mylord Grosvenor, der auf einem eignen Schiffe das ägäische Meer bereiste, sich aus den Trümmern von Delos heraussuchte und an Bord bringen ließ, was seiner Herrlichkeit des Mitnehmens werth schien; sondern leider fand ich auch wieder neben den Ruinen zwei gewaltige Kalköfen, und der von Mykonos mitgenommene Guardian erklärte auf Befragen, daß seine Landsleute hier noch jeden Winter Kalk zu brennen pflegten. So lange freilich die Behörden diesem geseglich verbotenen Unfug nicht steuern, kann man es den Mylords nicht verüblen, sondern muß ihnen schier Dank dafür wissen, wenn sie mitnehmen, so viel sie können!

Nachmittags segten wir nach Rhenäa über, und durchwanderten die Gräberstadt, die sich fast von der Südostspige des Eilands längs dem Sunde bis an die große Bucht hinaufzieht, welche dem Apollontempel auf Delos gegenüber die Insel in zwei Hälften theilt. Die meisten Gräber bildeten Kammern mit flachem Dache, seltener mit gewölbter Decke. Die Grabaltäre, die Bruchstücke von unverzierten Sarkophagen und von Stelen mit Reliefs sind zahllos; auch finden sich jonische und korinthische Säulen, Capitelle und Gesimse, nebst Fragmenten dorischer Architektur: Alles von Grabdenkmälern. Gegen das nördliche Ende der Nekropolis liegen auch einige kleine Tumuli, die aber schon von oben herunter schachartig durchgraben sind. Die

4) C. J. G. I. n. 10. Franz, Epigr. Gr. n. 44.

« PreviousContinue »