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Hermupolis, den 26 (14) Julius 1841.

Da leben und weben wir bereits den sechsten Tag in unserm schwimmenden Hause, comfortable (verzeihen Sie das häßliche aber schier unübersegbare Wort!) comfortable wie die Britten und zufrieden wie die seligen Götter, die sich, wenn es ihnen im sonnenbeglänzten Athen oder im durstigen Argos zu heiß war, auf die luftigen Gipfel des Olympos zurückzogen, so wie wir dießmal auf das kühle Meer.

Wir segelten, mein werther College H. und ich, am 21sten Abends um neun Uhr aus dem Piräeus, freilich nur mit einem sehr schwachen Landwinde, aber auf dem bequemsten und schnellsegelndsten Schiffchen, das je die Wellen des ägäischen Meeres durchschnitt, da S. M. der König die hohe Gnade gehabt, uns für diese Reise seinen Kutter Leon zu verleihen. Fünf rüstige Hydrioten bilden seine Besagung, geführt von dem Lieutenant Georg Revides, einem trefflichen Seemann aus der unmittelbaren Schule des unvergeßlichen Miaulis, unter dessen Augen und an dessen Bord er als junger Mann den ganzen Krieg mitgemacht hat. Aber alle Kunst des Seemannes vermag den Windftillen nicht zu gebieten, und am 22sten Morgens, als die ersten Lichtfirablen ben Sorigent freiften (ἐχάραξε, τὰ χαράγματα nennt

die heutige Sprache sehr hübsch diesen Moment), fanden wir uns erst auf der Höhe des Eilandes Phavra oder Phleväs, wo ich schon mehr als einmal den Sonnenaufgang erlebt. Von hier führte uns ein frischerer Hauch zwischen der Küste und Patroklu Nesos durch, aber um acht Uhr gerade unter Sunion befiel uns eine neue Windstille. Wir erkannten darin eine EinLadung, Sunion zu besuchen, dessen Tempel mein Reisegefährte noch nicht in der Nähe gesehen hatte. Auf den Wink des Capitäns plumpte Briseïs ins Wasser - nicht die schönwangige Geliebte des Achilleus mit leuchtend weißen Armen und schneeigem Busen, sondern eine kurze gedrungene Gestalt, mit breiten Schultern und weitläufiger schwarzer Brust: die kleine Barke unseres Kutters, die an ihrer Kehrseite mit dem stolzen Namen der schönen Heldenbraut geschmückt ist. Sie nahm uns geduldig auf ihren Rücken und trug uns mit wenigen Ruderschlägen an das felsige Gestade Sunions.

Wir erstiegen den jezt verödeten Hügel, den auf der Landseite noch ansehnliche Reste der alten Festungsmauer 1) umgeben, und weilten einige Augenblicke in dem Schatten der ehrwürdigen Säulen, die von dem uralten Tempel der Athene noch aufrecht stehen. Sie sind nebst den Säulen im Innern des Tempels der Athene auf Aegina, so viel ich mich entsinne, die einzigen dorischen Säulen im jezigen Griechenland, welche gleich den ägyptischen Vorbildern nur sechszehn Cannelirungen haben. Dazu kommen noch die Säulen und Halbsäulen des Theaters in Segeste, die Säulen des großen Tempels in Päftum, und die von den Tempeln der Artemis und des olympischen Zeus in Syrakus. Man darf diese alle daher wohl als die einzigen normalen

1) Sunion wurde befestigt im 19ten Jahre des Peloponnesischen Krieges. Thufyd. 8, 4. Skylar Peripl. u. d. W. Attiný. Doch muß der Ort wohl schon früher Befestigungen gehabt haben, weil die Athenäer ihn in der 72 Olympiade dem Nikodromos und den andern flüchtigen Aegineten als Waffenplaß einräumten, um von hier aus Aegina zu belästigen. Herodot 6, 90.

2) Die Nachweisungen bei Lepsius (sur l'ordre les colonnes-piliers en Egypte etc., in den Ann. d. Inst. Arch. vol. IX.), pag. 96 not. 3—7, wozu jezt noch Serradif., Antich. della Sic. IV, tav. 9 und 29 hinzu zu fügen ist.

dorischen Säulen bezeichnen. Denn der viereckige Pfeiler des ursprünglichen ägyptischen Steinbaus erwies fich bald, wie Lepfius sehr hübsch entwickelt, für Hallen und Durchgänge, wegen seiner Ecken und weil er viel Licht raubt, als unbequem; die Aegyptier verfielen daher darauf, seine Ecken abzuschrägen, und so entstand die Säule mit acht glatten Seiten (xíov ỏnṛáɛdoos), von der Griechenland in den uralten Ruinen des Heiligthums der Artemis Limnatis ebenfalls ein Beispiel aufbewahrt hat. 5) Aber auch so blieb die Säule noch zu eckig; man beschnitt ihre acht Winkel nochmals, und gelangte dadurch zu der sechszehnseitigen Säule (éxxaidenάedoos), die der runden schon um ein Bedeutendes näher kommt.") Der nächste Schritt war dann aus optischen Gründen, um einen gefälligeren Wechsel von Licht und Schatten hervorzubringen, die sechszehn Seiten flach zu canneliren, und so war die normale ägyptisch - dorische Säule da, wie wir sie in den Ueberresten aus der ältern ägyptischen Kunstperiode vor dem Einfalle der Hyksos, und ausnahmsweise noch unter der achtzehnten Dynastie bis ins 15te Jahrhundert vor Christo finden,) und wie sie durch den frühesten Handelsverkehr, durch die ersten Uebersiedler, vielleicht schon durch Inachos, sicher durch Danaos, Kekrops und Andere, und durch die alte Kunstschule des Dädalos und seiner Nachfolger auf mehr als Einem Wege nach den hellenischen Landen gebracht wurde.

5) Meine Reisen im Peloponnes, I, S. 7.

4) Die Säulen im Innern des Parthenon, um das Bild der Göttin, waren von dieser Art; sey es, daß sie von dem alten Parthenon übrig geblieben waren, oder was wahrscheinlicher ist, daß Perikles und seine Künstler aus Achtung vor geheiligter Ueberlieferung und Herkommen hier absichtlich die ältere Form wieder herstellten. *) Champollion - Figeac (Egypt. p. 310. 312) führt noch Beispiele dieser Säulenordnung aus der Regierung des Möris und Amenophis II an, und will sogar (p. 362), daß eins der Gräber mit dorischen Säulen in Beni-Hassan in die Zeit der 23sten Dynastie, um 800 v. Chr. falle, welche Dynastie unter ihren Königen auch einen Osortafen zählte. Allein Lepfius (1. 1. p. 71) seßt dieß nämliche Grab unter die 17te Dynastie. Dagegen giebt auch Lepsius (p. 81) ein vereinzeltes Beispiel später Anwendung der achtseitigen Säule in Medinet - Abou, unter dem Könige Hakor, von der 29sten Dynastie, im vierten Jahrhundert vor Christo.

Wundern Sie sich nicht

im Vorbeigehen bitte ich Sie darum über diese Namen, die freilich lange Zeit bei uns verpönt gewesen sind, da wir Alle, die wir zur lebenden Generation gehören, mehr oder minder unter dem Einflusse jener historischen Skepsis aufgewachsen sind, die so zu sagen Alles, was über den Solon hinausging, vom Boden der Geschichte wegläugnete, und die in Haus und Schule und Akademie solche Herrschaft erlangt hatte, daß uns nur noch durch ihre Brille vergönnt war das Alterthum zu erblicken, und daß es für Keßerei galt, an ihre statt der geschichtlichen Ueberlieferung aufgestellten Hypothesen nicht unbedingt zu glauben; für Einfalt und fast für Blödsinn, über das geltende Dogma hinaus noch etwas für historisch beglaubigt, ja selbst nur für möglich zu halten. Aber wenn nicht alle Zeichen trügen, ist diese luftige Skepsis, als deren Koryphäen Wolf und Niebuhr glänzen, nahe daran in ihrem Fluge zu ermatten, und an ihrer Stelle wird wieder die ernste und an die Möglichkeit einer Geschichte glaubende Forschung auf dem festen Boden der Wirklichkeit wandeln: zumal seitdem Champollions hochbegabter Geist den Schleier des Bildes zu Saïs gelüftet, und Aegypten wieder fester als je zuvor in seine angestammten Rechte urältester und durch redende Denkmäler verbürgter hoher Bildung eingesezt hat. Nachdem aber die Basreliefs und Wandgemälde an den Monumenten der hundertthorigen Theben dargethan, daß die Aegyptier bereits zweitausend Jahre vor Christo den indischen Völkerschaften Seeschlachten auf dem südlichen Ocean lieferten, wird man es wenigstens nicht mehr für undenkbar halten können, daß sie um dieselbe Zeit auch über den großen Binnensee segten, den wir das mittelländische Meer nennen, und so ihre Kunst und Bildung in das alte Pelasgerland übertrugen; und wer das Schaßhaus des Atreus und die Löwen über dem Thore von Mykenä gesehen, wird nicht in Abrede stellen wollen, daß dieselben Hände, welche jene Werke geschaffen, auch einen dorischen Tempel auszuführen und seine Metopen mit Bilderwerk zu schmücken wußten.

Einer sehr frühen Zeit (und warum nicht der vorhomerischen, da der Dichter Sunion schon als ein Heiligthum kennt?) muß nun auch dieser Tempel angehören, dessen Säulen noch das

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